Der junge Page Zero steht in seiner lilafarbenen Uniform mit der Aufschrift „Lobby Boy“ kerzengerade an der Rezeption. Neben ihm wacht Monsieur Gustave, der Concierge des Grand Budapest Hotels. Die Kamera fährt durch die kunstvoll symmetrische Lobby: Alles ist detailreich und mit opulentem Dekor inszeniert. Während Gäste ein- und ausgehen, gibt Gustave präzise Anweisungen: „Ein Lobby Boy ist unsichtbar, aber doch immer in Sichtweite.“ Zero hört ehrfürchtig zu, trägt einen Stuhl und ein Ferkel durch die Lobby und hält einer Dame diskret die Menükarte, während diese in ihrem Zahn stochert. Die Komödie „Grand Budapest Hotel“ (2014), die ARTE im August zeigt, reizt so ziemlich alle Attribute eines klassischen Wes-Anderson-Films aus. Doch wie kam der Regie-Künstler zu seiner Bildsprache und welchen Stellenwert hat sie noch in Zeiten, in denen künstliche Intelligenz bald jeden noch so einzigartigen Stil mit nur wenigen Befehlen kopieren kann?
Wesley Wales Anderson wurde 1969 in Houston, Texas geboren und wuchs an der Küste von Neuengland auf. Schon als Grundschüler drehte er erste Filme mit einer Super-8-Kamera. Heute gilt der studierte Philosoph, der mit seiner Familie in Paris und Kent lebt, als einer der einflussreichsten Regisseure des US-amerikanischen Independent-Kinos. Nur wenige Filmemacher haben ihr Werk so sehr als Marke etabliert wie Wes Anderson. Das gilt insbesondere für seine Ästhetik: Die Art und Weise, wie der 56-Jährige seine künstlichen, nostalgischen Welten inszeniert, ist unverwechselbar. Dazu zählen schrullig-exzentrische Figuren in Starbesetzung, ein detailliertes Produktionsdesign, das für einen gewissen Puppenhauscharakter sorgt, sowie die üppige Pastelligkeit in der Farbgebung. Weitere Markenzeichen sind seine Vorliebe für Retro-Design, minutiös konstruierte Einstellungen und skurrile Ironie. Andersons Handschrift zeichnet sich durch symmetrische Tableaus aus, seine warmen Farben ähneln oft leicht ausgeblichenen Fotos, wobei die Schauplätze wie entrückte Traumlandschaften wirken.
Zu Andersons bekanntesten Werken gehören neben „Grand Budapest Hotel“, für das er sich von Stefan Zweigs „Welt von gestern“ hatte inspirieren lassen: „Die Royal Tenenbaums“ (2001), „Darjeeling Limited“ (2007), „Moonrise Kingdom“ (2012), „Isle of Dogs“ (2018) und „The French Dispatch“ (2021). Sein bonbonbunter Eskapismus ist so unverkennbar, dass der virale Trend „Accidentally Wes Anderson“ entstand – mit Ablichtungen von Objekten, die aussehen, als stammten sie aus einem seiner Filme, einer gleichnamigen Buchreihe und zwei Millionen Instagram-Followern. Selbst pornografische Wes-Anderson-Parodien gibt es inzwischen.
WIEDERERKENNUNG ALS MEISTERSTREICH
Meist kreisen Andersons Filme um dysfunktionale Familiengeflechte: „Dabei geht es um Verlust, um Erinnerung und um die Frage, was Familie eigentlich bedeutet – und um die Illusion von Kontrolle, dass man alles ordnen kann, wenn man nur ausreichend lange Listen schreibt“, sagte Wes Anderson in einem Interview zu seinem neuen Film „Der phönizische Meisterstreich“ (2025). Die Dialoge werden für gewöhnlich mit trockenem Humor vorgetragen, die Plots gleichen einem in verschiedene Akte unterteilten Labyrinth. Der Texaner siedelt seine Filme, in denen mal leichte Melancholie, mal kindliches Glücksempfinden mitschwingt, außerdem bevorzugt in erfundenen Ländern an.
All das findet sich auch in seinem neuen, zwölften Film, der diesen Sommer mit gewohntem Star-Aufgebot in die Kinos kam. Denn auch das zählt zu Andersons Eigenarten: Hollywoodgrößen stehen für seine Drehbücher quasi Schlange – und begnügen sich auch schon mal damit, im Vorbeilaufen nur in die Kamera zu winken. „Der phönizische Meisterstreich“ versammelt unter anderem Tom Hanks, Scarlett Johansson, Charlotte Gainsbourg, Bill Murray – als freundlicher Gott – und Benedict Cumberbatch. Anderson arbeitete dabei zum ersten Mal mit dem Kameramann Bruno -Delbonnel, zuvor war meist Robert Yeoman für die Bildgestaltung verantwortlich. Der Wes-Anderson-Look blieb natürlich erhalten: „Es bleibt erkennbar mein Film. Diese Dinge verankern sich wohl irgendwann von selbst“, so der Regisseur.
Auch wenn vereinzelte Kritiker mittlerweile genervt sind von Wes Andersons „L’art pour l’art“-Weise des Filmemachens – dem Texaner ist definitiv gelungen, was auch in Zukunft kaum eine künstliche Intelligenz hinbekommen dürfte: Er hat allein durch Kreativität und Liebe zum Detail einen höchst individuellen Stil erschaffen, der Betrachter in immer neue Parallelwelten führt – und die doch erkennbar derselben Galaxie entstammen.






