Adieu, Flugscham!

Neue Antriebstechnik soll Flugzeuge klima­neutral machen. Vor allem Start-ups wittern Chancen im ­milliardenteuren Umbau der Luftfahrt. Wann und wie starten die ersten nachhaltigen Maschinen?

Prototyp eines emissionsfreien Senkrechtstarters von Lilium. Die von 36 Elektromotoren angetriebene Maschine soll künftig als Flugtaxi in ­Metropolen eingesetzt werden. Foto: Lilium

Mit dem Taxi in 15 Minuten vom Alexanderplatz in Berlin-Mitte zum Flughafen BER? Was angesichts des immer dichteren Straßenverkehrs wie eine naive Zukunftsvision klingt, könnte bald Wirklichkeit sein. Allerdings wird die Strecke dann nicht mit einem Fahrzeug auf vier Rädern zurückgelegt, sondern mit einem emissionsfreien Flugtaxi, klimaneutral. Derlei elektrisch angetriebene Fluggeräte werden spätestens in zehn Jahren am Himmel über der Hauptstadt und anderen Metropolen zum Alltag gehören, prognostiziert ­Daniel ­Wiegand, Gründer und CEO des Flugzeugherstellers Lilium aus dem bayerischen Wessling. Trotz vieler Zweifler feierte das Start-up 2021 sein Debüt an der US-Börse Nasdaq – und hat weiter große Pläne.„Ende dieses Jahres wird unser elektrischer Senkrechtstarter in Serie gehen“, sagt der 36-jährige ­Ingenieur. Die Zulassung als Flugtaxi wolle man dann ebenfalls beantragen.

Für den Anfang plant Lilium eine siebensitzige Version, angetrieben von nicht weniger als 36 Elektromotoren. Die drehen sich nach dem Start – wie bei Senkrechtstartern üblich – aus der Position für Vertikalschub in die Position für Horizontalschub; vor der Landung nehmen sie dann wieder die Vertikalstellung ein. Gesteuert wird die Bewegung mit einer ausgeklügelten Software. Vorteil solcher Senkrechtstarter: Sie brauchen weder Start- noch Lande­bahn und sind deshalb gut in eng bebauten Ballungsräumen einsetzbar. Nachteil der Technik: Beim Übergang vom vertikalen ­Schwebe- zum horizontalen Gleit­flug treten in einem bestimmten Geschwindigkeitsbereich bisweilen Stabilitätsprobleme auf.

Liliums Prototyp ist einer von vielen ­Entwürfen für emissionsfreie Luftfahrzeuge, an deren Realisierung derzeit mit Hochdruck gearbeitet wird. In den Konstruktionsabteilungen der Flugzeughersteller und Triebwerksproduzenten herrscht Aufbruchstimmung; zudem tüfteln Dutzende Start-ups an den Jets der Zukunft, wie die ARTE-Dokumentation „Voll elektrisch: Die Luftfahrt der Zukunft“ anhand zahlreicher Beispiele zeigt. Sie alle erhoffen sich ein lukratives Geschäft mit den nachhaltigen Luftmobilen: Laut einer Roland-­Berger-Studie winken allein der Flugtaxi-­Branche ab 2050 Umsätze von jährlich rund 90 Milliarden US-Dollar.

Ein Stück dieses Kuchens will sich auch Volocopter sichern. 2019 präsentierte das in Bruchsal ansässige Unternehmen den ersten Taxistand für autonome, elektrisch angetriebene Flugtaxis: den Voloport in Singapur. Das Konzept soll in asiatischen und europäischen Metropolen ab 2024 den Verkehr entlasten und umweltfreundlicher machen, so Firmenchef ­Florian ­Reuter. Der Markt scheint reif für einen radikalen Wandel, und wer als Erster einen Zero-­Emission-­Flieger für die Verkehrsluftfahrt serienreif macht, dürfte sich vor Aufträgen kaum retten können.

 

Vier Elektromotoren treiben einen im Maßstab 1 : 5 angefertigten Prototyp der ES-19 der schwedischen Heart Aerospace an. Foto: Patrik Olsson/Heart Aerospace

Voll elektrisch: Die Luftfahrt der Zukunft

Wissenschaftsdoku 

TV Samstag, 12.2. — 21.55 Uhr

Mediathek bis 12.4. verfügbar

Denn seit Anfang 2020 nutzen immer mehr Airlines die infolge der Corona­Pandemie anhaltende Flaute, um ihre Flotten zu modernisieren. Ihr Ziel: Möglichst viele Maschinen sollen emissionsfreie Antriebe erhalten. Das nötige Kapital ist vorhanden – auch weil die Luftfahrtbranche in den vergangenen zwei Jahren weltweit mehr als 140 Milliarden US-Dollar an staatlicher Unterstützung eingesammelt hat, um drohende Pleiten abzuwenden. Zwar waren nur rund zehn Prozent dieser Finanzspritzen an die Bedingung geknüpft, dass sich die Unternehmen klimaneutral aufstellen. Es herrscht aber Konsens darüber, dass die Ära der Kerosin­verbrennung rasch beendet werden muss. 

Nicht nur im urbanen Raum und als Shuttles, auch auf Kurzstrecken könnten Elektroflugzeuge bald zum Einsatz kommen: Einer der Pioniere der nachhaltigen Luftfahrt in Europa ist die norwegische Regionalfluggesellschaft ­Widerøe Air, die ein engmaschiges Streckennetz zwischen dem Festland und den Lofoten betreibt. „Mehr als die Hälfte unserer Routen sind kürzer als 200 Kilometer“, sagt Widerøe-Manager ­Andreas Aks, „und die Maschinen transportieren selten mehr als zehn Passagiere. Für die Umstellung auf Elektroflugzeuge ist das ideal.“ Gemeinsam mit dem britischen Motorenhersteller Rolls-­Royce und dem italienischen Flugzeugbauer Tecnam entwickeln die Norweger eine Elektroversion der neunsitzigen P 2012, genannt P-Volt, die ab 2026 emissionslos fliegen soll.

Ebenfalls für 2026 hat das schwedische Unternehmen Heart Aerospace eine batteriebetriebene Ausführung seiner ES-19 angekündigt. Das Interesse an der Maschine ist groß. So teilte die Fluggesellschaft Finn­air unlängst mit, ihre Kurzstreckenflotte auf die klimafreundlichen Jets aus dem Nachbarland umrüsten zu wollen, sobald sie erhältlich sind.

 

Simulation eines Volocity-Flugtaxis im Anflug auf einen Voloport. Foto: Volocopter

Als erste unter den großen Fluggesellschaften will ­Easyjet Elektro­flieger nutzen, setzt jedoch auf einen anderen Lieferanten: Wright Electric. Die US-Firma hat zwar keine familiäre Verbindung zu den legendären Flugpionieren, den Gebrüdern Wright. Mit ihren Elektromotoren und der dazu passend entwickelten Triebwerkstechnik könnte sie aber für die Branche ebenso bedeutsam werden wie ehedem die Fluggeräte ihrer historischen Namensvettern. Denn die Wright Spirit, so der Name des derzeit entwickelten Verkehrsflugzeugs, das 2026 marktreif sein soll, wird von zehn Aggregaten mit einer Gesamtleistung von 20 Megawatt angetrieben. Das entspricht etwa der Leistung eines Airbus A320. Mit diesem Antrieb könne die Spirit 100 Passagiere auf Strecken wie Frankfurt – Paris oder San Francisco – Los ­Angeles befördern, heißt es vonseiten des Unternehmens. Erste Flugtests seien ab 2023 vorgesehen. Wann der erste Elektroflieger von Easyjet startet, ist noch ungewiss; die Airline peilt dafür 2030 an.

Batterien für Langstrecken zu schwer

Jenseits von 400 Kilometern geht den derzeitigen Prototypen allerdings schnell der Strom aus. Für Mittel- und Langstrecken kommen Elektroflugzeuge nicht infrage. Batterien oder Brennstoffzellen mit höheren Reichweiten sind zwar herstellbar, würden aber so viel wiegen, dass mit ihnen ausgestattete Flugzeuge gar nicht abheben könnten. „Batterien sind etwa 60-mal so schwer wie Kerosin mit demselben Energieinhalt“, erläutert Andreas Klöckner, beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt zuständig für elektrisches Fliegen. „Mit hybriden Lösungen können wir die Energiedichte von Kerosin aber mit der Emissionsfreiheit von Batterien kombinieren. Für die unmittelbare Zukunft scheint das der beste Ansatz zu sein.“

 

Eine Dash 8-400 von De ­Havilland Canada, die von ­Zeroavia auf Hybridantrieb (Wasserstoff/Elektro) umgerüstet wird. Foto: Zeroavia

Wer indes klimaneutrale Mittel- oder Lang­streckenjets bauen will, hofft auf die Entwicklung von Turbinen, die mit sogenanntem grünen Wasserstoff angetrieben werden, einem Treibstoff, der auch für Interkontinentalflüge geeignet scheint. Flugzeughersteller stecken Milliardensummen in die Entwicklung der Technologie. So stellte Airbus voriges Jahr drei teils futuristisch anmutende Studien ausschließlich mit Wasserstoff angetriebener Passagierflugzeuge vor, die ab 2035 in Serie gehen könnten. Der Luftfahrtexperte ­Andreas Spaeth ist freilich skeptisch, ob solche Maschinen jemals fliegen werden: „Die Idee, Wasserstoff statt Kerosin als alleinige Energiequelle für Flugzeugtriebwerke zu nutzen, ist schwer umzusetzen, denn Wasserstoff ist ein sogenannter kryogener Treibstoff: ein Gas, das erst bei minus 253 °C flüssig und unter hohem Druck komprimiert für Antriebe nutzbar wird. Die damit verbundenen technischen Herausforderungen sind immens.“

Derweil hat die britische Firma ­Zeroavia Fakten geschaffen: Bereits dieses Jahr soll der Prototyp einer auf Hybridantrieb (Wasserstoff und Elektro) umgerüsteten ­Dornier 228 abheben. Und gemeinsam mit dem Flugzeugbauer De ­Havilland Canada entwickeln die Briten gerade eine hybridgetriebene Version der Dash 8-400, eine der erfolgreichsten Turbopropmaschinen der zivilen Luftfahrt. Ab 2027 soll sie im Linienverkehr auf Mittelstrecken bis 2.000 Kilometer emissionsfrei fliegen und 76 Passagiere transportieren können. Zu den ersten Interessenten zählt ­Alaska ­Airlines. „Der Hybridantrieb mit Elektro-Wasserstoff-Aggregaten ist zurzeit die beste Alternative für eine nachhaltige kommerzielle Luftfahrt“, sagt Zeroavia-­Chef Val Miftachow. Er rechnet damit, dass „ab 2040 Langstreckenflugzeuge mit Reichweiten bis zu 8.000 Kilometern mit dieser Technik fliegen werden“.