Bezwinger aller Welten

Niemand dreht kompromissloser, visionärer, eigenwilliger: Werner Herzogs Filme prägen das deutsche Kino maßgeblich. Zu seinem 80. Geburtstag zeigt ARTE zwei seiner wegweisenden Werke. Über einen Mann, der sich seiner Einzigartigkeit bewusst ist.

Porträt Werner Herzog
Zum 80. Geburtstag von Werner Herzog strahlt ARTE den Film aus, der wohl wie kein anderer für das Werk des Regisseurs steht: „Fitzcarraldo“ (1982). Der anschließende Dokumentarfilm „Flucht aus Laos“ (1997) porträtiert einen Piloten, der in Vietnam für die US-Army flog. Foto: Christopher Wahl / Contour / Getty Images

Dreitagebart, das rechte Auge leicht entzündet, das linke über dem Tränensack verkrustet, durch Blut oder Dreck, egal. Die Haare verschwitzt, der Blick müde oder vielmehr herausfordernd erschöpft. Seht her! So schaut ein Bezwinger aus. Von Bergen, Wüsten, Eismeeren, Vulkanen, Meteoriteneinschlägen, urzeitlichen Höhlen und vielleicht auch der globalen Filmwelt. ­Werner ­Herzog hat als Autodidakt immer gemacht, was er wollte, sich mit seinen filmischen Werken durchgesetzt gegen Produzenten, Redakteure, Aufnahmeleiter und Schauspielstars wie Klaus ­Kinski. Dem ­Herzog ­Werner (so spricht man den Namen in seiner Heimat Oberbayern) kann keiner was anhaben!

Als abgekämpfter, aber erfolgreicher Weltenretter prangt er auf dem Cover seiner soeben erschienenen Autobiografie „­Werner ­Herzog – Jeder für sich und Gott gegen alle. Erinnerungen“. Im Hitzeschutzanzug, mit einer Hand einen Helm gegen den Körper gedrückt. Die Aufnahme entstand 2016, als der Regisseur den Dokumentarfilm „Into the Inferno“ drehte. Darin erforscht er mit dem Vulkanologen ­Clive ­Oppenheimer aktive Vulkane und spürt Menschen nach, die in ihrer Nähe leben. Mit seiner dramatisch raunenden Stimme erzählt ­Herzog aus dem Off am liebsten vom imaginären Weltenende: „Dem Himmel entgegen steigen die Flammen der mächtigen Götter. Der Untergang naht.“

Bei ­Werner Herzog ist die Sprache immer großes Kino. Es gibt kein Entkommen – und der letzte Überlebende jener filmischen Exkursionen wird dieser furchtlose Regisseur sein, aufgewachsen in einem abgelegenen Gebirgstal im Dorf Sachrang, 25 Kilometer südlich des Chiemsees. Es ist eine archaische, bäuerliche Welt, in die ­Herzog, geboren 1942, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs hineingeworfen wird. Seine Mutter flüchtet mit ihm und seinem Bruder Till aus dem zerbombten München in die Einsamkeit. Die Zeit bis in die 1950er Jahre hinein ist für den Jungen prägend, konfrontiert ihn mit ländlicher Kargheit, Armut und Überlebenskämpfen in der Natur. Bis zu seinem elften Lebensjahr kennt ­Herzog kein Telefon und schon gar keinen Film. Weil er erst so spät erfahren habe, was das Kino sei, habe er es erfinden müssen, wird er einmal erzählen. Oft weiß man nicht, ob ­Herzog das, was er sagt, glaubt – oder mit leidenschaftlicher Überhöhung die eigene Einzigartigkeit beweisen will.

Beim Herzog Werner ist die Sprache immer großes Kino

Moritz Holfelder, Journalist
Zwei Männer auf Bergspitze
Für den Dokumentarfilm „Begegnungen am Ende der Welt“ (2007) reiste Werner Herzog mit dem österreichischen Kameramann ­Peter Zeitlinger in die Antarktis. Foto: picture alliance / Everett Collection

Diese Einzigartigkeit, seine Ausnahmestellung im deutschen Kino der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist unbestritten. Rund 70 Filme hat ­Werner ­Herzog in 60 Jahren gedreht, darunter Werke, die zum Kanon des Weltkinos gehören: In der Kaspar-Hauser-Geschichte „Jeder für sich und Gott gegen alle“ (1974) hinterfragt Laiendarsteller ­Bruno S. den Prozess der Zivilisation als Gratwanderung zwischen Aufklärung und Identitätsverlust. Und in „Fitzcarraldo“ (1982) lässt Klaus ­Kinski als Bezwinger des Dschungels einen Dampfer über einen Berg ziehen. ­Herzog drehte preisgekrönte Dokumentarfilme über Grizzlys und über Menschen in der Antarktis. Über deutsche Kampfpiloten im Vietnamkrieg („Flucht aus Laos“, 1997) und eine Frau, die mit dem Flugzeug im Urwald abstürzte („Julianes Sturz in den Dschungel“, 2000). In seinen Dokumentarfilmen erlaubt sich ­Herzog gern Freiheiten. Stets spielen für ihn die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fantasie eine untergeordnete Rolle. Für diesen künstlerischen Umgang mit Fakten kreierte er den Begriff der „ekstatischen Wahrheit“.

schwarz-weiß Bild von Werner Herzog und Klaus Kinski
Regisseur Werner Herzog pflegte eine ausgeprägte Hassliebe zu dem cholerischen, aber genialen Schauspieler Klaus Kinski, hier im Jahr 1987 am Set des Kinofilms „Cobra Verde“. Foto: WDR

Angesichts der filmischen Schaffenskraft überraschte ­Herzog einmal mit seiner Prophezeiung, er werde nicht als Filmemacher den Ruhm der Nachwelt erlangen, sondern als Schriftsteller. Im Laufe der Pandemie stellte er dann nicht nur zwei Filme fertig, sondern auch zwei Bücher. Neben seiner Autobiografie erschien die Erzählung „Das Dämmern der Welt“ über ­Hirō ­Onoda, einen japanischen Geheimdienstoffizier, der sich 1944 auf einer philippinischen Insel im Dschungel versteckte und erst 1974 wiederauftauchte – nicht ahnend, dass der Zweite Weltkrieg längst zu Ende war. ­Herzog ist fasziniert von diesem Menschen und dessen Unerschütterlichkeit, jener Unbeugsamkeit, die auch so viele seiner Filmfiguren prägt. Da blitzt der Geist von Sachrang auf, diese Mischung aus Weltferne und Un-beirrbarkeit. Den ­Herzog ­Werner beseelt sie bis heute.

Der Autor
Moritz Holfelder, Journalist
Seit 1985 arbeitet Moritz Holfelder, 1958 geboren, als Kulturjournalist sowie ­Architektur- und Filmkritiker. Er schrieb diverse kulturgeschichtliche Bücher, darunter „­Werner ­Herzog: Die Biografie“ (2012).