Seit ein paar Wochen gehe ich tauchen. Jeden Tag um halb zwölf knarzt ein „Wir fahren los!“ aus der Steuerzentrale und es geht in der kleinen Kapsel hinab. Wir, acht Studienteilnehmende, verlassen nicht wirklich den Boden der Klinik – nur der Druck ändert sich, zweieinhalb Stunden atmen wir unter einem Bar, also gefühlt in zehn Metern unter der Meeresoberfläche, medizinischen Sauerstoff ein. Wir alle haben Long Covid, genauer gesagt Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS), die schwerste Form von Long Covid – eine Multisystemkrankheit, bei der die Energieversorgung des Körpers auf zellulärer Ebene nicht funktioniert.
2022, auf der Höhe der Omikron-Welle, habe ich mich angesteckt. Seitdem bin ich nicht gesund geworden. Ich bin behindert, verrentet, arbeitsunfähig, erlebe starke körperliche Schwäche, Schmerzen, Schwindel, Schlafstörungen, Herzrhythmusstörungen, bin stark reizempfindlich. Am meisten schränkt mich die sogenannte PEM ein, die post-exertionelle Malaise, eine Zustandsverschlechterung aller Symptome nach jeder Form von Anstrengung. Sie bedeutet konkret, dass ich nach einem kurzen Telefonat für eine Stunde ruhen muss, maximal alle zwei Tage das Haus verlassen kann, Sport völlig ausgeschlossen ist. Und sie bedeutet, dass jede Verschlechterung dauerhaft bleiben kann.
Obwohl vielfältige Schäden in den Körpern von Long-Covid-Betroffenen gefunden wurden, wird seit Jahren (und bei ME/CFS seit Jahrzehnten) auch öffentlich darüber gestritten, ob es sich um körperliche Erkrankungen handelt, ob die Symptome psychisch bedingt sind – oder ob sich die Betroffenen ihre Krankheit womöglich einbilden. Viele Symptome, etwa Erschöpfung und Schmerzen, lassen sich nicht mit gängigen diagnostischen Verfahren erklären, was dazu führen kann, dass Patientinnen und Patienten nicht geglaubt wird oder ihre Symptome psychologisiert werden.
Auch ich habe so ein „Medical Gaslighting“ erlebt, wenn auch verhältnismäßig moderat. An einem Tag, an dem ich nicht einmal allein ins Bad kam, erklärte mir ein Allgemeinmediziner, mit mir sei alles in Ordnung. Ein Herzspezialist, bei dem ich wegen Herzrhythmusstörungen in Behandlung war, meinte, ich solle mich entspannen. Aus der Reha kam ich mit so starken Verschlechterungen, dass ich mich monatelang nicht allein versorgen konnte. Und das, obwohl sie speziell auf ME/CFS zugeschnitten war. Doch es wurde nicht beachtet, dass das gesamte Setting einer Reha bei dem Krankheitsbild schädlich ist: Das Reinigungspersonal, das frühmorgens poltert. Die Lüftungsanlage gegenüber. Der Helikopter-Landeplatz vor den Zimmern. Der riesige, volle, laute Speisesaal. Die viel zu kurzen Pausen zwischen den Therapien. All das bedeutet Anstrengungen, die mich auch ohne weiteres Reha-Programm überfordert hätten.
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