Die Pforte zur Unendlichkeit

Es gilt als eine der komplexesten Maschinen der Menschheit: das James-Webb-Weltraumteleskop, das Weihnachten 2021 die Erde verließ. Forschende erhoffen sich historische Durchbrüche davon.

Foto: NASA/ESA/CSA/STScI/picture alliance/Xinhua News Agency

Kollidierende Supersterne, galaxiegroße Gaswolken und interstellare Staubsäulen – das vor genau einem Jahr ins All geschossene James-Webb-Weltraum­teleskop (JWST) zeigt in nie dagewesener Auflösung kosmische Phänomene, die unsere Vorstellungskraft sprengen. Die Frage aller Fragen jedoch: Findet das Teleskop endlich Beweise, dass wir nicht allein sind in der Unendlichkeit? Gibt es Aliens, Spocks oder sonstige Formen extraterrestrischen Lebens da draußen – und seien es nur Mikroorganismen? „Gut möglich, dass wir in den kommenden 10 bis 15 Jahren Anhaltspunkte dafür finden“, sagt der Wissenschaftsjournalist Bill Nye, der in den USA als The Science Guy bekannt ist, mit Bezug auf die geplante Missionsdauer des Teleskops. „Das würde auf der Erde wohl alles verändern.“ Ein durchaus denkbares Szenario laut Nye: Das JWST sichtet ein anderes hoch entwickeltes Teleskop irgendwo in den Tiefen des Universums.

Dass es die Raumfahrtbehörden Europas (Esa), Kanadas (CSA) und der Vereinigten Staaten (Nasa) überhaupt geschafft haben, ihr Beobachtungsgerät nach mehr als 20 Jahren Bauzeit in Betrieb zu nehmen, gleicht einem Wunder. Wie die ARTE-Dokumentation zeigt, stand die Mission, die mit einem Budget von rund zehn Milliarden Euro zu den teuersten der Raumfahrtgeschichte zählt, mehrfach vor dem Aus. Bis zuletzt mussten die am Bau beteiligten Wissenschaftlerinnen und Ingenieure wegen der explodierenden Kosten um das Projekt bangen. 

 

Foto: D.R./PBS/ARTE F

 

EINE INSEL DER STABILITÄT IM ALL

Entsprechend hoch waren die Luftsprünge der Astronautik-Experten, als das JWST als offizieller Nachfolger des 1990 gestarteten Hubble-Teleskops an Bord einer Ariane-5-Trägerrakete die Erde verließ. Um die hochkomplexe Maschine in einer sogenannten Nutzlastkapsel unterzubringen, hatten sich die Konstruierenden ein ausgeklügeltes Faltsystem erdacht: Der Sonnenschild, in der Fläche so groß wie ein Tennisplatz und schwer wie ein Omnibus, sowie die Teleskop-Spiegel wurden nach dem Origami-Prinzip gebaut. Erst im Weltraum brachte ein fast 14 Tage dauernder, vollautomatisierter Prozess die einzelnen Komponenten in ihre endgültige Position. „Dafür mussten Tausende Teile präzise zusammenarbeiten. Ein Wunderwerk der Technik“, unterstrich JWST-Programmdirektor Gregory Robinson. Nach 30 Tagen hatte das Teleskop seine für die Beobachtung des Weltalls vorgesehene Umlaufbahn erreicht: am sogenannten Lagrange-Punkt L2, rund 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. „Vom Teleskop aus gesehen, stehen Sonne und Erde hintereinander und immer in der gleichen Richtung. Blickt man von der Erde zum Teleskop, dann sieht man von ihm stets die gleiche Seite – ähnlich dem Erdmond, der uns nur seine Vorderseite zeigt“, erklärt die Esa und nennt L2 „eine Insel der Stabilität im Weltraum“. Von seiner Umlaufbahn kann das Teleskop im Laufe eines Jahres das gesamte von unserer Galaxie aus sichtbare Universum beobachten, wobei Erde, Mond und Sonne laut Esa im „heißen Rücken“ sind. Die empfindlichen Instrumente auf der Vorderseite befänden sich hingegen immer im Schatten. „Um die von der Sonne und dem Erde-Mond-System kommende thermische Strahlung abzufangen, genügt also ein einziger Schutzschild.“ Bei diesem Wort dürften Science–Fiction-Fans aufhorchen; aber noch gilt es nicht, etwaige Laser-Angriffe abzuwehren. Beim derzeitigen Entwicklungsstand der Technik ist der Weltraum auch ohne gegnerische Raumschiffe für Menschen lebensfeindlich genug.

 

Das James-Webb-Teleskop ist nach dem Origami-Prinzip konstruiert. So umfasst etwa der sogenannte Primär­spiegel (Foto) 18 sechseckige Segmente, die mit einer dünnen Gold- und einer vor Einschlägen schützenden Glasschicht überzogen sind. Foto: D.R./PBS/ARTE F

 

Seit im Sommer die ersten nachbearbeiteten und dadurch hochästhetischen Fotos veröffentlicht wurden, entzückt das JWST nicht nur Technik- und Raumfahrt-Nerds. Unlängst erschienen etwa Aufnahmen des Adlernebels, auch als „Säulen der Schöpfung“ bekannt. Bereits das Hubble-­Teleskop hatte diese rund 6.500 Lichtjahre von der Erde entfernte Region, in der sich laut Nasa ständig neue Sterne bilden, identifiziert. Die Bilder der Infrarotkamera des JWST sind jedoch ungleich detailreicher. „Webbs neuer Blick auf die ,Säulen der Schöpfung‘ wird uns ein tieferes Verständnis dafür geben, wie Sterne entstehen und über Millionen von Jahren aus diesen Wolken ausbrechen“, betont ein Nasa-Sprecher. Auch Hobby-Forschende können aktiv an der Mission des Teleskops teilhaben: Über das Internet­portal MAST (Mikulski Archive for Space Telescopes) lassen sich Datensätze des JWST in hoher Auflösung kostenfrei herunterladen, bearbeiten und untersuchen. Star-Trek-Figur Mr. Spock würde sagen: „Faszinierend!“

 

Das James-Webb-Teleskop: Ein neues Zeitalter der Entdeckungen

Wissenschaftsdoku

Samstag, 17.12. — 21.45 Uhr  

bis 19.9.27 in der Mediathek