Manche Dinge sind nun mal unvereinbar: Freiheit und Disziplin, Männlichkeit und Gefühle, Homosexualität und militärischer Drill. So zumindest sieht es der Vizeleutnant des österreichischen Bundesheeres Charles Eismayer (Gerhard Liebmann), der als besonders gefürchteter Ausbilder gilt. Er ist der Typ, der droht, die Jungs „nach Strich und Faden umzuschneidern“, wenn sie keine Leistung bringen. Auch sein Gesicht verrät eine permanente Anspannung, als würde er krampfhaft alle Muskeln unter Kontrolle halten – bloß kein Lächeln, keine Regung zeigen. Antreten, strammstehen, exerzieren. Wer nicht pariert, hat 60 Liegestütze oder eine „Ehrenrunde“ zu absolvieren: nackt in winterlicher Kälte.
Im Militär zählen Anpassung und Gehorsam – Abweichungen stellen eine potenzielle Bedrohung dar. Bis heute gilt die Armee als Bastion traditioneller Männlichkeit, wie etwa aktuelle Debatten in den USA zeigen, wo Transgender-Personen seit Kurzem wieder vom Militärdienst ausgeschlossen werden. Auch in der eingeschworenen Kameradschaft unter Eismayer ist „Schwuchtel“ das schlimmste Schimpfwort. Kein Wunder, dass Mario Falak (Luca Dimić), ein attraktiver Rekrut, der schon mal „Nein“ zu Befehlen sagt und offen zu seinem Schwulsein steht, in diesem Klima eine wandelnde Provokation ist. Besonders brisant wird es, weil Falak bei Eismayer eine verborgene Seite berührt: seine eigene, größtenteils ungelebte Homosexualität. Privat gibt Eismayer den fürsorglichen Ehemann, seine Frau Christine (Julia Koschitz) ahnt nichts von seinem Doppelleben. Während er vorgibt, Überstunden zu machen, sucht er anonymen Sex mit Männern – ein Lügenkonstrukt, das früher oder später einstürzen muss.
David Wagners Spielfilmdebüt „Eismayer“ erinnert in seiner Grundkonstellation an Werke wie Stanley Kubricks „Full Metal Jacket“ (1987) oder Oliver Hermanus’ „Moffie“ (2019), in dem ein schwuler Mann während des Apartheidsregimes in Südafrika seinen Militärdienst leistet. Anders als die in diesen Filmen oftmals eindimensional gezeichneten sadistischen Ausbilderfiguren entwirft Wagner jedoch das nuancierte Porträt eines innerlich zerrissenen Stabsunteroffiziers. Dabei spielt der Regisseur mit Militärklischees, ohne ihnen zu verfallen. Etwa in einer Szene, in der ein Rekrut Zahnpasta schluckt, um Fieber vorzutäuschen – und der Grundausbildung bei Eismayer zu entkommen. Der „Schleifer“ soll, so erzählt man sich, bei einer Übung schließlich sogar eine Kuh „mit der Panzerfaust weggefetzt haben“. Doch alle Tricks nutzen nichts: Beim Appell lässt Eismayer sich den Pfefferminzatem der Rekruten ins Gesicht hauchen und brüllt, dass jeder, der sich mutwillig dienstunfähig mache, seinen „Blutrausch“ zu spüren bekomme. Man glaubt es ihm aufs Wort in dieser Szene. Wagner verbindet solche Momente der Härte mit einem Gespür für groteske Komik, vor allem durch lakonische Dialoge.
Die Figur Charles Eismayer sprengt alle Klischees in meinem Kopf
Zwischen Tabu und Realität
Für sein Soldatendrama ließ sich David Wagner von einer wahren Geschichte inspirieren, auf die er durch eine Zeitungsmeldung aufmerksam wurde. Der 1982 in Wien geborene Regisseur erinnert sich im Gespräch mit dem ARTE Magazin: „Ich kannte den Namen Eismayer aus meiner Zeit beim Bundesheer. Man erzählte sich von diesem Ausbilder, alle hätten Angst, ihm zu begegnen. Ich hielt das damals für ein Schauermärchen.“ Tatsächlich berichtete jedoch die Zeitung, dass der gefürchtete Vizeleutnant 2014 seinen Partner in Uniform in der Kaserne geheiratet hatte – ein Ereignis, das das Bundesheer als PR-Aktion nutzte. „Ich hatte so viele Fragen! Dass ein einzelner Mensch so viele ambivalente Eigenschaften haben kann, das hat mich extrem fasziniert“, sagt Wagner.
Der Film zeichnet das streng konservative und hierarchische Klima im österreichischen Bundesheer in den späten 2000er Jahren nach. Obwohl Homosexualität seit 1971 legal war, sahen sich homosexuelle Soldaten dort weiterhin Ausgrenzung und beruflichen Nachteilen ausgesetzt. Für die authentische Darstellung griff Wagner auf seine Erfahrungen aus dem Wehrdienst vor 24 Jahren zurück: „Für den Maturanten eines Gymnasiums mit bildnerischem Schwerpunkt war diese Zeit eine absurde Grenzerfahrung.“ Zudem führte er Interviews mit Rekruten, die Eismayer persönlich kannten: „Viele haben gelitten, manche vergöttern ihn bis heute.“ Wagner und seine Hauptdarsteller verbrachten zudem viel Zeit mit den realen Vorbildern Charles Eismayer und Mario Falak – arbeiteten etwa in deren Ferienhaus gemeinsam am Drehbuch.
Während Österreich in den 1990er Jahren bereits erste Schritte zur Akzeptanz homosexueller Soldaten unternahm, blieb die rechtliche Situation in Deutschland deutlich restriktiver: Homosexuelle Handlungen zwischen Männern wurden dort bis 1994 nach § 175 StGB strafrechtlich geahndet. Der 1871 eingeführte Paragraf wurde 1935 vom NS-Regime stark verschärft. Zwar erfolgten 1969 und 1973 Abschwächungen, doch die Strafbarkeit bestand weiter und diente jahrzehntelang als Grundlage für systematische Kriminalisierung. Lesbische Frauen blieben im Gesetz derweil unerwähnt, was weniger auf Toleranz als auf Ignoranz gegenüber weiblicher Sexualität beruhte. Die Repressionen und Diskriminierungen, denen sie insbesondere zur NS-Zeit ausgesetzt waren, werden erst seit rund zehn Jahren vermehrt wissenschaftlich untersucht und aufgearbeitet.
Das NS-Regime verfolgte homosexuelle Handlungen in der Wehrmacht rigoros: Zwischen 1939 und 1944 wurden rund 7.000 Soldaten nach § 175 StGB verurteilt, teils zu Gefängnis- oder Konzentrationslagerstrafen. Eine 1942 von NS-Minister Hermann Göring erlassene Richtlinie unterschied zwischen sogenannten aktiven Homosexuellen, die hart bestraft wurden, und vorgeblich verführten Soldaten, die nach einer Strafe oft wieder eingegliedert wurden. Dies diente pragmatischen Zwecken, um hochrangige Abweichler in den eigenen Reihen zu schützen. Ziel war jedoch die Durchsetzung einer strikten Männlichkeitsideologie in Wehrmacht, Polizei und SS.
Auch in der 1955 gegründeten Bundeswehr blieb die Stigmatisierung von Homosexualität bestehen: Bis 1969 führten Verurteilungen nach § 175 zu Degradierungen oder Entlassungen, und bis 1979 war Homosexualität ein Ausschlusskriterium für den Dienst. Auch nach der Entkriminalisierung im Jahr 1994 galt Homosexualität im sogenannten Sexualerlass der Bundeswehr weiterhin als Diensthindernis – vorgeblich wegen eines befürchteten Autoritätsverlusts sowie Erpressbarkeit. Betroffene wurden von Führungsaufgaben ausgeschlossen. Ein Wendepunkt war die Klage des Luftwaffenoffiziers Winfried Stecher, der Ende der 1990er Jahre als Ausbilder abgelöst wurde. Der Grund: Er hatte mit seinem langjährigen Lebensgefährten eine gemeinsame Wohnung bezogen. Das Bundesverfassungsgericht gab ihm recht: Im Jahr 2000 wurde der Sexualerlass aufgehoben. 2021 trat zudem ein Gesetz in Kraft, das queeren Soldatinnen und Soldaten Entschädigungen für erlittene Diskriminierungen zusichert.
USA: Kulturkampf im Militär
Trotz vieler Fortschritte für queere Menschen bleibt das Militär ein Ort, an dem ein Kulturkampf um Hypermaskulinität und Stärke geführt wird. Das zeigt sich aktuell besonders in den USA: Im Mai 2025 trat dort ein Dienstverbot für Transgender-Personen in Kraft. US-Verteidigungsminister Pete Hegseth erklärte auf X, man wolle damit „Wokeness“ und vermeintliche Schwäche hinter sich lassen. Auf einer Konferenz fügte er hinzu: „Keine Männer in Kleidern mehr!“ Laut US-Präsident Donald Trumps Anordnung steht die sexuelle Identität von Transpersonen „im Widerspruch zum ehrbaren, ehrlichen und disziplinierten Lebensstil eines Soldaten“ und schade der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte. Trotz Kritik von liberalen Richtern und LGBTQ-Verbänden bestätigte der Oberste Gerichtshof das Verbot. Die Entscheidung wird juristisch angefochten, sie löste eine breite Debatte über den Umgang mit queerer Identität im Militär aus.
„Eismayer“ greift diese tief verwurzelten Konflikte auf. Regisseur David Wagner war es einerseits „wichtig, den Generationenwandel und einen Hoffnungsschimmer der Toleranz für junge Männer zu zeigen“, andererseits ist sein Film eine schonungslose Abrechnung mit einem antiquierten Bild von Männlichkeit – das in der rigiden Welt des Militärs besonders hartnäckig fortbesteht.








