»Ich bin ein Weib, kein Weibchen«

Stark Sie ist die Grande Dame des deutschen Films, auf ARTE ist Iris Berben als Frau zu sehen, die sich mit dem eigenen Tod konfrontiert sieht.

Gefragt: Noch bis Mitte Juni dreht Iris Berben „Altes Land“, die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Autorin Dörte Hansen
Gefragt: Noch bis Mitte Juni dreht Iris Berben „Altes Land“, die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Autorin Dörte Hansen. Foto: Andreas Rentz / Getty Images

Mit einem mit rotem Lippenstift aufgemalten Venussymbol auf der Stirn begrüßt Iris Berben zum Interview. Es findet in der Produktionsfirma ihres Sohnes Oliver im Berliner Westen statt. Kurz zuvor hatte sie hier ein Video-Shooting. Zwar sind die Details noch geheim, dennoch ist die Message klar: eine starke Frau im Kampf für Frauenrechte, Demokratie, soziale Gerechtigkeit. Schließlich hat die heute 68-jährige Schauspielerin noch nie ein Geheimnis aus ihrem politischen Engagement gemacht.

Auf ARTE ist Iris Berben als Protagonistin Hanne im gleichnamigen Film von Dominik Graf zu sehen. Mit dem ARTE Magazin spricht sie über ihr inneres Feuer, die Vorteile ihres Alters und ihre Hoffnungen für Europa.

Frau Berben, stimmt es, dass Sie sich für eine mittelmäßige Schauspielerin halten?

„Mittelmaß“ ist für mich eigentlich das größte Schimpfwort, das es gibt. Aber es stimmt schon, ich empfinde mich nicht als die große Schauspielerin, für die ich oft gehalten werde. Es ist doch so: Die eigene Messlatte kommt nie an den Punkt, an dem man alles erreicht hat. Zumindest nicht in meinem Beruf.

Also sind Sie nie zufrieden mit Ihrer Leistung?

Im Film gibt es manchmal winzige Momente, in denen man das Gefühl hat, dass alles stimmt. Man spielt nicht mehr, man ist es. Das Schauspiel ist aber eben ein Handwerk, an dem man immer wieder feilt und poliert; es gibt immer wieder neue Voraussetzungen und Herausforderungen, vor die man gestellt wird.

Gibt es Rollenangebote, die Sie absagen, weil sie Sie unterfordern würden?

Ja, ich habe tatsächlich in den letzten zwei, drei Jahren relativ viele, auch schöne Angebote abgesagt, weil ich mich wiederholt hätte. Ich möchte auch gar kein großes Thema aus meinem Alter machen, das machen eher die anderen bei mir. Aber trotzdem ist mir bewusst, in welchem letzten Drittel oder Viertel ich angelangt bin. Und gerade deshalb brennt geradezu ein Feuer in mir. Ein Feuer, Dinge zu machen, die ich noch nicht kenne, vor denen ich großen Respekt habe und die ich mir auf neuen Wegen erarbeiten muss. Ich möchte mich wie eine Schraube weiter hineindrehen in Gefühlslagen von anderen Menschen. Und da bin ich sehr selektiv geworden.

Welche Rolle haben Sie zuletzt zugesagt?

Gerade drehe ich mit Sherry Hormann „Altes Land“, eine Verfilmung des Romans von Dörte Hansen. Alles ist sehr reduziert erzählt. Ich spiele die 80-jährige Protagonistin und es geht sehr viel um ihre innere Haltung, ihre gelebten Augen, die etwas verstanden haben. Dabei entstehen tolle Momente für mich.

Ist es heutzutage leichter, als ältere Schauspielerin gute Hauptrollen zu bekommen?

Es hat sich zum Glück einiges geändert. Ich kenne auch noch andere Zeiten, da gab es so etwas wie die magische Vierzig im Kino und auch im Fernsehen. Das war wie ein Scheitelpunkt – wenn du Glück hattest, hast du eine Rolle mit einem zu transportierenden Inhalt bekommen, aber aus dem Hauptfokus warst du meistens raus. In den letzten 20 Jahren habe ich sehr kraftvolle Frauenfiguren gespielt, die mir sicherlich aufgrund meiner Erfahrung, meines Alters, meiner Sicherheit – ebenso wie meiner zugelassenen Unsicherheit – angeboten wurden. Heute haben wir, auch in höherem Alter, größere Chancen als früher.

Gilt das für Frauen ebenso wie für Männer?

Die Männer hatten da weniger Probleme. Ältere Männer hat man schon immer mit Attributen wie erfahren, weise, klug oder souverän bestückt. Ich habe mich dann immer gefragt: „Und wo ist das Pendant dazu?“ Wir sind hier auch noch lange nicht da angekommen, wo wir sein sollten. Leider.

Die Sendung auf Arte

Das Drama „Hanne“ gibt es am Freitag 7.6. um 20:15 Uhr bei ARTE und bis 6.7. in der Mediathek.

Die Selbstdarstellung von Frauen in den sozialen Medien wurde kürzlich als rückwärtsgewandt kritisiert. Wie sehen Sie das?

Absolut. Bambiblicke mit langen Wimpern, Hauptsache hübsch anzusehen. Ich persönlich bin gerne ein Weib! Aber nicht gerne ein Weibchen. Das ist ein großer Unterschied.

Im Film „Hanne“, im Juni auf ARTE zu sehen, spielen Sie eine Frau, die kurz nach ihrer Pensionierung erfährt, dass sie womöglich todkrank ist. Sie muss ein Wochenende lang auf die Diagnose warten und durchlebt viele Emotionen. Was hat sie an dem Drehbuch gereizt?

Da kam einiges zusammen. Zum einen diese Widersprüchlichkeiten und Schwankungen, die die Hauptfigur durchlebt – von tiefer Verzweiflung bis losgelöster Ausgelassenheit eines Teenagers. Was eine solche Situation mit der Gefühlswelt anstellt, was man plötzlich für wichtig hält, das alles empfand ich als sehr lebensnah. Und zum anderen die Zusammenarbeit mit Regisseur Dominik Graf. Er ist radikal, neugierig, offen, spielt ohne doppelten Boden und geht – wie ich – gerne Risiken ein. Da haben sich zwei Geister getroffen.

Wie kommt es, dass Sie vorher noch nie zusammengearbeitet haben?

Ist das nicht komisch? Ja, das haben wir uns auch gefragt. Und suchen seitdem nach neuen Stoffen.

Wie würden Sie wohl reagieren, wenn Sie in der Situation der Protagonistin wären?

Ich wäre dann gerne wie die Figur im Film. Das Leben ist nun mal widersprüchlich. Und ich selbst liebe meine Widersprüche. Ich glaube, ich habe im Leben nichts ausgelassen. Und werde auch weiterhin nichts auslassen, solange es geht.

Was steht gerade auf Ihrer To-do-Liste?

Klavier spielen würde ich gerne wieder lernen, damit habe ich viel zu früh aufgehört. Und viel mehr Sprachen sprechen und reisen. Vor zwei Jahren war ich mit einem Expeditionsschiff in der Antarktis, jetzt möchte ich durch die Mongolei reisen. Vielleicht sogar auf dem Rücken eines Pferdes. Sie sehen, ich habe noch viele Träume. Und die Zeit ist ja auch noch da.

Sie sind auch seit vielen Jahren politisch aktiv. Trotzdem werden Sie nicht gerne als politische Künstlerin bezeichnet.

Kunst und Kultur allgemein hat viele Möglichkeiten, Politik zu transportieren. Haben Künstler deshalb die Verpflichtung, sich politisch zu engagieren? Nein, haben sie nicht. Das hat per se jeder oder eben nicht. Für mich ist das eine Wesensfrage. Ich bin ein politischer Mensch. Schließlich bin ich in den späten 1960ern sozialisiert und politisiert worden, es ist Teil meiner Biografie.

Was beschäftigt Sie im Moment besonders?

Das, was alle gerade umtreibt, die wissen, was Demokratie bedeutet: wie verletzlich und fragil sie ist und wie sie gerade sehr perfide benutzt wird, um Unsicherheiten und Verunsicherungen von Menschen auszuspielen. Der Rechtspopulismus, der sich gerade wieder breitmacht, ist eine unserer größten Herausforderungen. Neben Frieden, Umweltschutz, Frauenrechten, Mindestlohn, sozialer Sicherheit … Es gibt unendlich viele Forderungen, um die Welt gerechter zu machen. Und durch Abschottung und Rückwärtsgewandtheit geht das nicht.

Was fordern Sie konkret von Politikern?

Ich wünschte mir, dass man die Menschen verzaubert mit dieser Idee von Europa, mit der Idee einer Welt. Und sie mitnimmt, ihre Sprache spricht, ihnen die Angst nimmt, sodass sie Unbekanntes und Neues immer als Chance sehen und nicht als Bedrohung. Leider steckt hinter allem eine wahnsinnige Bürokratie und es geht nur langsam voran. Aber ich bleibe optimistisch.

Man muss die Menschen mit dieser Idee von Europa verzaubern.