Inseln der Macht

Peking lässt künstliche Eilande im Südchinesischen Meer militärisch befestigen. Die Marine wird unter Xi Jinping offensiv aufgerüstet. Ein Säbelrasseln, das Chinas Weg zu einer neuen Weltordnung begleitet.

Chinas Staatschef Xi Jinping setzt auf Armee und Marine, um außenpolitische Ziele zu verfolgen. Der Machtkampf mit den Vereinigten Staaten bekommt deshalb eine zunehmend militärische Dimension. Foto: picture alliance/dpa/HPIC

Früh am 8. März 2014 verschwand kurz nach dem Start in Kuala Lumpur die Maschine des Malaysia-­Airlines-Flugs 370 (MH 370) nach Peking von den Radarschirmen. An Bord waren 154 Bürger der Volksrepublik. In Chinas Hauptstadt tagte gerade der Volkskongress zur jährlichen Parlamentssitzung. Die Abgeordneten bangten entsetzt um das Schicksal ihrer Landsleute. 

Doch Pekinger Militärstrategen schien die Flugkatastrophe gerade recht zu kommen. Am 12. März meldete sich Konteradmiral Yin Zhuo, Leiter der Beratergruppe Marine, am Rande des Pekinger Volkskongresses zu Wort: Chinas Armee könnte sich nicht an der internationalen Suche beteiligen. Das im Südchinesischen Meer vermutete Absturzgebiet läge viel zu weit entfernt – über 2.000 Kilometer von Chinas südlichster Inselprovinz Hainan. „Wenn wir von Hainan losfliegen, reicht die Tankfüllung nicht.“ Für künftige Notfälle „müssen wir im Südchinesischen Meer über eigene Häfen und Flugplätze verfügen“, betonte er.

Eignen würden sich dafür drei Atolle: „Yong­shu“ (Fiery Cross), „Meiji Jiao“ (Mischief) und „Zhubi Jiao“ (Subi-­Reef). Sie seien Teil der 1.000 Kilometer von Hainan entfernten Spratly-Inselgruppe (Nansha) und gehörten zu sieben Riffen, die unter Kontrolle Chinas standen. Was der Konteradmiral nicht sagte: In den Schubladen der Marine lagen bereits fertige Pläne, sich Stützpunkte im Südchinesischen Meer zu bauen. Die ARTE-­Dokumentation ­„Pulverfass Pazifik: Chinas Aufstieg zur Seemacht“ zeigt die Folgen dieser Entwicklung für das globale militärische Machtgefüge und im wichtigsten Seegebiet Asiens für Handelsschifffahrt und Energieversorgung. 

Die Suche nach MH 370 bot den Vorwand, loszu­legen. Schon ein halbes Jahr später zeigten Satelliten­aufnahmen, wie Baggerschiffe unablässig die Riffe ansteuerten, während Bautrupps dem Meer 13 Quadratkilometer Neuland abtrotzten. Irritiert vermerkte Anfang 2015 der Kommandeur der US-Pazifikflotte, Admiral ­Harry ­B. Harris, Peking wolle mitten im Meer „mit Bulldozern eine Große Mauer aus Sand bauen“.

Alarmierter reagierte im März 2022 ein anderer US-Admiral, John C. ­Aquilino, Kommandeur für den Indo­pazifik. China habe die Inseln Fiery Cross, Mischief und Subi-Reef „vollständig militarisiert“. Mit den dortigen ­Flugzeug- und Raketenarsenalen würde es „alle Nationen, die in der Nähe operieren, sowie den gesamten internationalen See- und Luftraum bedrohen“. Der Coup, unbewohnte Riffe in Außenposten militärischer Macht umzubauen, gehört zur Strategie der „tausend Nadelstiche“, mit der die Volksrepublik seit Xi ­Jinpings Aufstieg Ende 2012 den Boden für ihren globalen Machtanspruch bereitet. Als neue Seemacht hat sie offensiv aufgerüstet – dazu zählen Flugzeugträger, Atom-­U-Boote und amphibische Landungsschiffe. Peking blieb jedoch bislang unterhalb der Schwelle eines kriegerischen Konflikts. Es provoziert aber gefährliche Zwischenfälle, beispielsweise wenn es paramilitärisch ausgerüstete Fischerbootflotten mobilisiert, um Anrainerstaaten im Südchinesischen Meer wegen Territorialstreitigkeiten zu attackieren.

 

Chinazentrierte MammutKooperation

Motor für Pekings globale Einflussnahme ist eine Entwicklungsstrategie, die auf die Wirtschafts- und Verkehrsverflechtung Chinas zielt – vor allem mit Europa, via Zentralasien, Südostasien und Afrika. Staatschef Xi rief sie 2013 unter dem Namen „Neue Seidenstraße“ oder auch „Belt and Road“ ins Leben. Inzwischen ist daraus eine chinazentrierte, infrastrukturelle Mammutkooperation Chinas mit der gesamten Welt geworden. 

Die scheinbar unaufhaltsame ­Expansion stößt allerdings immer mehr auf Ablehnung, zumal sich viele Staaten verschulden und abhängig werden. Speziell im Indo­pazifik formiert sich Widerstand gegen China, bilden sich von den USA initiierte Netzwerke und militärische Allianzen etwa mit Japan, Indien und Australien (Quad) oder mit Großbritannien und Australien (AUKUS).   

Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine lässt die Sicherheitslandschaft Asiens mitbeben. China schadete sich selbst, als es mit Moskau am 4. Februar vereinbarte, eine neue Weltordnung schaffen zu wollen. Die Sanktionierung Russlands trifft kollateral auch Chinas Seidenstraßen-Projekte bis hin zu Plänen, mithilfe Moskaus in der Arktis Fuß zu fassen. Und auch Chinas Wette, dass die Welt wegsieht, wenn es mit militärischem Druck Taiwan in eine Wiedervereinigung zwingen will, geht seit der Ukraine-­Invasion nicht mehr auf.

Pulverfass Pazifik: Chinas Aufstieg zur Seemacht

Geopolitische Doku

Dienstag, 10.5. — 21.50 Uhr  

bis 5.11. in der Mediathek