Sind wir noch zu retten?

Weltweit breiten sich antibiotikaresistente Keime aus, Mediziner sprechen von einer „stillen Pandemie“. Was jetzt getan werden muss und welche Lehren wir aus Covid-19 ziehen sollten.

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Es galt als Allheilmittel in der Medizin, sollte bakteriellen Krankheiten den Garaus machen, die Menschen von Leid befreien. Als der britische Bakteriologe ­Alexander ­Fleming 1928 zufällig das Penicillin entdeckte und weiter daran forschte, waren die Hoffnungen groß. Doch schon bald entwickelten sich Resistenzen gegen mehr und mehr Antibiotika, und heute, fast 100 Jahre später, steht die Menschheit erneut vor einer immensen Herausforderung: der rasant wachsenden Zahl resistenter Keime. 

Mukoviszidose, Wundinfektionen, Sepsis – mehr als 1,2 Millionen Menschen starben 2019 an einer Infektion mit einem antibiotikaresistenten Erreger, wie Forscher in der Fachzeitschrift The Lancet jüngst feststellten. Weitere fünf Millionen Todesfälle stünden mit antibiotikaresistenten Keimen in Verbindung. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) könnte die Zahl der Todesfälle bis 2050 auf jährlich zehn Millionen ansteigen. Antibiotika-Resistenzen gehören demnach zu den häufigsten Todesursachen weltweit. Tendenz steigend. Warum aber wird die Bedrohung noch immer unterschätzt? Und was unternehmen Forscher, um antimikrobielle Resistenz einzu-dämmen?

„Anders als bei anderen potenziell tödlichen Infektionskrankheiten wie Aids, Tuberkulose oder Covid-19 sehen viele nicht die Gefahr, die von Antibiotika-Resistenzen ausgeht“, sagt ­Ramanan ­Laxminarayan, Gründer und Direktor des Washingtoner „Center for Disease Dynamics, Economics & Policy“. ­Laxminarayan gehört zu den Experten, die im Dokumentarfilm „Stille Pandemie: Der globale Kampf gegen Antibiotika-­Resistenz“ zu Wort kommen. Dem ­ARTE ­Magazin erklärt er: „Antibiotika-Resistenzen sind weit verbreitet. Viele der daran Verstorbenen hatten gar nicht realisiert, dass sich ihr Körper nur deshalb nicht von einer Infektion erholen konnte, weil Menschen vor ihnen so viele Antibiotika genommen hatten. Antibiotika-Resistenz ist längst Teil unseres Lebens, eine Art versteckte Pandemie.“

 

Foto: Broadview Pictures/ZDF

Stille Pandemie: Der globale Kampf gegen Antibiotika-Resistenz

Dokumentarfilm 

Dienstag, 15.3. — 20.15 Uhr  

bis 13.4. in der Mediathek

Resistente Keime im Grundwasser

Obwohl die Probleme hinreichend bekannt sind, werden Antibiotika noch immer falsch eingenommen oder bei nichtbakteriellen Infektionen verschrieben. Eine Studie aus Großbritannien zeigte unlängst, dass Patienten, die mit -Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert wurden, zu häufig Antibiotika bekamen – obwohl nur ein geringer Teil eine begleitende bakterielle Infektion hatte. EU-weit steigt der Verbrauch von Breitband-Antibiotika bei stationären und ambulanten Behandlungen. Dabei sollten Wirkstoffe so gezielt wie möglich auf bestimmte Bakterien ausgerichtet sein. Darüber hinaus werden in der Tierhaltung nach wie vor viele Antibiotika eingesetzt, oft als Prophylaxe. Über Mist und Gülle gelangen Rückstände und resistente Keime bis ins Grundwasser. Reserve-antibiotika, die eigentlich schwerkranken Menschen vorbehalten sind, dürfen weiter in der Tiermast eingesetzt werden, beschloss das EU-Parlament im September 2021.

Dass die sich verschärfende Antibiotika–Krise globale Lösungen benötigt, darüber sind sich Medizinerinnen und Mediziner einig. „Die Covid-19-Pandemie und die Klimakatastrophe zeigen, dass die weltweite Vernetzung von Regierungen und Wissenschaftlern zentral ist, um einen dynamischen globalen Prozess einzudämmen“, sagt -Maria -Vehreschild, Leiterin der Infektiologie am Universitätsklinikum Frankfurt, im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Doch wie kann eine solche Vernetzung aussehen? Hierzulande definiert die Deutsche Antibiotika–Resistenzstrategie (DART) verschiedene Maßnahmen, dazu gehört die Förderung von Forschungsprojekten, die den von der WHO empfohlenen „One-Health“–Ansatz berücksichtigen – Projekte, in denen Humanmedizin, Veterinärmedizin und Umweltwissenschaften ineinandergreifen, um Resistenzen zu minimieren. Zudem sammelt ein regelmäßiger Report EU-weit medizinische Daten, um den Antibiotikaverbrauch zu überwachen. Und: „In Krankenhäusern werden aktuell sogenannte ‚Antibiotic Stewardship‘-Programme aufgesetzt, in denen man Ärzten vermittelt, wie man Antibiotika rational einsetzt“, erklärt ­Vehreschild. 

Doch das sei nicht genug. Neben der Erforschung von Alternativen fordert die WHO die Entwicklung neuer Antibiotika. Für Pharmaunternehmen ist das in der Regel aber nicht lukrativ, denn neue Antibiotika sollen nach Möglichkeit als Reserve, also so selten wie möglich, verschrieben werden, um weitere Resistenzen zu vermeiden. Für Pharmafirmen bedeutet das: hohe Kosten für die Entwicklung, aber nur eine geringe produzierte Stückzahl. An dieser Stelle greift die internationale Zusammenarbeit: Aktuell bündeln mehr als 20 führende Pharmakonzerne, die WHO, die Europäische Investitionsbank und die Stiftung Wellcome Trust ihre Kräfte in Form des „AMR Action Funds“. Bis 2030 sollen so zwei bis vier neue Antibiotika auf den Markt kommen. „Eigentlich wissen wir, was zu tun ist“, sagt Tim Jinks vom Wellcome Trust. „Wie bei Covid-19 brauchen wir jetzt globale Solidarität, um erfolgreich handeln zu können.“ Weitere Programme wie der nach dem Entdecker des Penicillins benannte „Fleming Fund“, der Länder in Asien und Afrika unterstützt, stünden für diese Art der Vernetzung, auf die es jetzt ankommt.

Gegen Antibiotika-Resistenzen müssen wir global handeln

Tim Jinks, Programmleiter des Wellcome Trust