»Höchste Zeit, die Welt zu retten«

Sengende Hitze, reißende Fluten, sterbende Wälder – Deutschland spürt den Klimawandel wie nie zuvor. Was jetzt zu tun ist, um Schlimmeres zu vermeiden, erläutert Wissenschaftsautor Toralf Staud.

Wald
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Auf der Weltklimakonferenz Anfang November in Glasgow geht es ums Ganze: Werden sich die Regierungen der 197 Teilnehmerstaaten darauf einigen, die 2015 auf der UN-Konferenz in Paris beschlossenen Klimaschutzmaßnahmen ernsthaft umzusetzen? „Das wäre dringend nötig“, sagt Buchautor Toralf Staud („Deutschland 2050“, „Wir ­Klimaretter“) im Interview.

arte magazin Zwei Drittel aller jungen Menschen machen sich laut einer aktuellen Studie große oder extreme Sorgen wegen des Klimawandels. Raubt die sogenannte Klimaangst auch Ihnen den Schlaf?
Toralf Staud Ehrlich gesagt: nein. Ich leide deshalb nicht unter Schlafstörungen. Allerdings kenne ich einige Klimaforscherinnen und ­-forscher, die schlaflose Nächte haben und ein prätraumatisches Syndrom entwickeln. Manche werden angesichts der zusammengetragenen Daten sogar depressiv.

arte magazin Viele Menschen blenden die drohende Klimakatastrophe noch immer aus. Woran liegt das?
Toralf Staud Ein Grund: Die Klimakrise ist nicht durch moralisch verwerfliche Handlungen entstanden, sondern infolge von ganz banalen Alltagstätigkeiten wie dem Verzehr einer Bratwurst, dem Beheizen der Wohnung, dem Urlaubsflug ans Mittelmeer oder dem Kurztrip mit dem Auto, um die Kinder zur Schule zu bringen. Der Klimawandel hat keinen einzelnen Verursacher, schrieb ­der Harvard-Psychologe Daniel ­Gilbert vor ein paar Jahren in der Los Angeles Times. Gäbe es einen Bösewicht, der dafür verantwortlich ist, hätten wir längst Armeen losgeschickt, um ihm das Handwerk zu legen. Weil aber wir alle zusammen die Entwicklung vorangetrieben haben, funktioniert das nicht.

arte magazin Den Klimawandel zu leugnen oder kleinzureden ist also eine Art Selbstschutz?
Toralf Staud Wer die anthropogene Klimakrise trotz aller Evidenz noch immer leugnet, sollte keine Beachtung bekommen. Das ist eine Randgruppe, die bloß überproportional laut ist. Es gibt jedoch viele Menschen, die zwar die Krise als Fakt akzeptieren, aber die Handlungskonsequenzen ablehnen, sprich: den Verzicht auf Konsumgewohnheiten. Das ist aktuell besonders relevant, denn die Menschen mussten sich seit Beginn der Corona-Pandemie in vielen Lebensbereichen einschränken. Es ist verständlich, dass sie keine Lust haben, für die Rettung des Klimas schon wieder auf vieles verzichten zu müssen – doch diese Haltung ist brandgefährlich.

arte magazin Inwiefern?
Toralf Staud Falls wir die Erderhitzung nicht bremsen, werden wir schon Mitte des Jahrhunderts massive Probleme bekommen: unbewohnbare Landstriche, einbrechende Exportmärkte, horrende Preise für Wasser und Lebensmittel, Millionen Klimaflüchtlinge – um nur einige der schrecklichen Folgen zu nennen.

arte magazin In Ihrem Buch „Deutschland 2050“ skizzieren Sie und Ihr Co-Autor Nick Reimer Szenarien, wie sich die Klimakrise in den kommenden 30 Jahren hierzulande auswirken wird. Was kommt da alles auf uns zu?
Toralf Staud Wir werden 2050 in einem viel heißeren und unsichereren Land leben. Extremwetterlagen sind an der Tagesordnung, damit einher gehen Katastrophen wie jüngst im Ahrtal, die Hunderte Opfer fordern und Milliardenschäden anrichten. Die Entwicklung lässt sich nicht mehr aufhalten, selbst wenn wir ab jetzt ernsthaften Klimaschutz betreiben. Wenn es uns aber gelingt, den Temperaturanstieg bei zwei Grad Celsius einzufrieren, wird es wenigstens nicht noch schlimmer kommen.

arte magazin Noch schlimmer?
Toralf Staud Bei ungebremsten Emissionen, so das Ergebnis einer 2018 im Auftrag der EU-Kommission erhobenen Studie, verlöre die EU bis 2100 pro Jahr rund 1,9 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung. Man braucht nicht viel Mathematik, um zu erkennen, dass dann vom jetzigen Wohlstand wenig übrig bliebe.

arte magazin Und doch hat die jüngste Bundestagswahl gezeigt, dass die Klimakrise hierzulande bei Wahlentscheidungen eine relativ geringe Rolle spielt. Wird die künftige Bundesregierung beim Klimaschutz trotzdem ernst machen?
Toralf Staud Das nehme ich doch an. Laut Verfassung muss sie es tun, denn die Regierung soll für das Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger sorgen. Und angesichts der wissenschaftlichen Fakten darf die Politik den Kampf gegen den Klimawandel nicht weiter hinauszögern: keine opportunistischen Scheinmaßnahmen, keine Zugeständnisse an Industrie und Lobbyisten, sondern alternativlos das Land für den Klimawandel fit machen. Darum geht’s.

arte magazin Um sinnvolle Maßnahmen zum Klimaschutz durchzusetzen, braucht es gleichwohl einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Wie ist der zu erreichen?
Toralf Staud Den gibt es ja längst! Umfragen zeigen, dass sich die große Mehrheit der Deutschen mehr Klimaschutz wünscht – aber die Leute wollen, dass es dabei gerecht zugeht. Dass Konsum- und Freiheitsverluste oder Preissteigerungen für alle gelten. Dass nicht nur sie, sondern etwa auch Großkonzerne ihren Beitrag leisten. Doch selbst dort sind viele schon weiter als die Politik: Die Unternehmen fordern einfach nur klare, verbindliche Rahmenbedingungen, etwa einen langfristig berechenbar steigenden Preis für jede Tonne CO₂. Sobald der feststeht, stellen sie sich darauf ein, ändern Geschäftsmodelle, lassen ihre Ingenieure tüfteln.

arte magazin Sie geben die Hoffnung demnach noch nicht auf?
Toralf Staud  Gewiss nicht. Aber es ist höchste Zeit, dass wir jetzt wirklich anfangen, die Welt zu retten. Außer uns wird es niemand tun. Anstatt die Hoffnung aufzugeben, setze ich lieber auf einen Sieg der Vernunft – womöglich in letzter Minute.