»Ich brauche Abschottung«

Auf engstem Raum mit Familie oder Freunden zu leben, ist nichts für Devid Striesow. Im Film „Für immer Eltern“ ist der Schauspieler jedoch genau in dieser Situation. Ein Gespräch.

Devid Striesow, Schauspieler Der Film- und Theaterschauspieler wurde 1973 auf Rügen geboren. Bekannt ist er unter anderem für seine Darstellung in „Drei“ (2010), „Ich bin dann mal weg“ (2015), als Saarbrückener Tatort-Kommissar (bis 2019) und als Privatdetektiv in der Krimireihe „Schwartz & Schwartz“ (seit 2018), Foto: Marco Fischer

Um Punkt zwölf Uhr mittags klingelt das Handy: ein Video-Anruf von Devid Striesow. Da es bei Minusgraden während einer Pandemie unmöglich ist, das Gespräch draußen oder alternativ in einem gemütlichen Café zu führen, findet das Interview mit dem ARTE Magazin digital statt. „Moment, ich muss meine Brille aufsetzen“, sagt ­Striesow und schaut dann zufrieden in die Kamera. Gerade sei er noch in Berlin und ab morgen wieder auf dem Land in der Uckermark, wo er gerade viel Zeit verbringe. Auf ARTE ist der 47-jährige Schauspieler im Film „Für immer Eltern“ von ­Florian Schwarz zu sehen – als Vater eines erwachsenen Sohnes, der plötzlich wieder zu Hause einzieht. Ein lebensnahes Thema für ­Striesow, der selbst vier Kinder hat. Ein Gespräch über Nähe und Distanz, Helikopter­-Eltern und Freiheit.

arte magazin Herr Striesow, in Italien ziehen die Söhne durchschnittlich erst mit 30 Jahren von zu Hause aus, in Deutschland lag das Alter bislang bei 24. Die Pande­mie verschiebt die Zahlen nun offenbar nach oben …
Devid Striesow Was für eine Horrorvorstellung! Ich habe mit 18 die Flucht ergriffen und bereue das kein bisschen. Vielleicht ist das Essen in Italien so gut, dass die Burschen aus Bequemlichkeit bei Mutti bleiben? Sicher liegt es auch an der Wohnungsnot – bei uns ja jetzt auch ein Problem.

arte magazin Geschlossene Unis, keine Nebenjobs – coronabedingt sind gerade viele junge Leute dazu gezwungen, wieder zu den Eltern zu ziehen. Denken Sie, das wird langfristige Auswirkungen haben?
Devid Striesow Ich glaube schon, dass das Prozesse verlangsamen wird. All das, was bisher selbstverständlich war – also beispielsweise recht früh von zu Hause auszuziehen –, wird in eine andere Ausgangsposition zurückversetzt. Diejenigen, die noch bei ihren Eltern wohnen, werden sich erst mal hüten, Risiken einzugehen und ins wilde Leben rauszuspringen. Und die, die schon auf der freien Wildbahn sind, werden teilweise wieder zu den Eltern ziehen müssen. Was natürlich auch Auswirkungen auf die Entwicklung hat.

arte magazin Inwiefern?
Devid Striesow Es ist völlig normal, dass man sich ab einem gewissen Alter von den Eltern abkoppelt. Das kann für Eltern und Kinder sehr schmerzhaft und zugleich sehr befreiend sein. Lange weggedrückte Probleme können so geklärt werden. Und das kann oft nur über eine gewisse Distanz, nicht aber über räumliche Enge geschehen.

arte magazin Sind Sie deshalb so früh ausgezogen?
Devid Striesow ch bin sehr, sehr eng aufgewachsen, auf nur 48 Quadratmetern. Wir waren zu dritt. Bis ich 14 war, trennte ein kleines Handtuch mein Zimmer vom Wohnzimmer ab. Das hat mich sehr bedrückt. Bis heute finde ich räumliche Enge kaum auszuhalten. An Weihnachten mit der großen Familie zusammen zu sein oder punktuell Leute einzuladen, finde ich wunderbar. Und doch bin ich sehr einzelgängerisch unterwegs und brauche meinen Abstand. Sonst komme ich nicht auf neue Gedanken. Ich brauche meine Abschottung.

Für immer Eltern

Komödie

Freitag, 19.3. — 20.15 Uhr
bis 16.4. in der Mediathek

Eine Szene aus dem Film „Für immer Eltern“, mit Devid Striesow. Foto: Jürgen Olczyk, ZDF, ARTE

arte magazin Dann konnten Sie sich gut in die Rolle des Vaters in „Für immer Eltern“ hineinversetzen? Er ist gerade mit seiner Frau in eine kleine Stadtwohnung gezogen, die Kinder sind aus dem Haus – und plötzlich zieht der erwachsene Sohn wieder ein.
Devid Striesow Dass ein Kind wieder zurück nach Hause kommt, war für mich ein neues Thema. Aber tatsächlich hatte die Wohnung, in der wir den Film drehten, etwas Enges und Bedrückendes. Und ich fand es sehr nachvollziehbar, dass in der Konstellation, in der die Familie dann plötzlich wieder zusammenlebt, Konflikte entstehen.

arte magazin Die Frau fällt sofort zurück in die Mutterrolle, sorgt und kümmert sich um ihren Sohn. Während der Vater sagt, der Junge sei erwachsen und komme schon irgendwie klar. Werden hier nicht die üblichen Rollenklischees bedient?
Devid Striesow Man spürt in der Geschichte sehr deutlich, wie es gelaufen ist, als die Kinder noch klein waren. Und da waren die Rollen zwischen Mutter und Vater im Falle dieser Familie offensichtlich sehr traditionell verteilt. Der Film zeigt, wie schnell jeder in seine alten Verhaltensmuster zurückfällt, als der Sohn wieder einzieht. Das ist ja das Problematische: Egal, ob zwischen Eltern und Kindern oder alten Freunden, die man lange nicht gesehen hat – es greifen immer wieder die gleichen Muster. Und diese zu durchbrechen, ist wahrscheinlich das Schwierigste im Leben.

arte magazin Sie selbst sind vierfacher Vater. Woher wissen Sie, wann es gut ist, Kinder ins kalte Wasser springen zu lassen, und wann, Hilfestellung zu leisten?
Devid Striesow Ins kalte Wasser springen zu lassen ist meiner Meinung nach schon an sich eine große Hilfe. Es darf das Kind natürlich nicht schockieren oder traumatisieren. Aber Erfahrungen machen zu lassen, ist immer das Beste.

arte magazin Dann sind Sie wohl kein Helikopter-Vater.
Devid Striesow Nein. Es gibt aber erstaunlich viele junge Paare, die ihre Kinder heutzutage in Watte packen. Da ist die Freizeit eines Dreijährigen schon komplett durchgetaktet mit Musikinstrumenten, Sport, Fremdsprachen. Die Ernährung ist ähnlich durchgeplant. Und das Kind rotiert im Kreis. Dabei ist es gerade für Kinder unglaublich wichtig, eigene Erfahrungen zu machen, zu rekapitulieren, ganz oft nichts zu machen. Das ist das A und O. Ich war als Kind zum Beispiel nicht in der Kita, sondern die ganze Zeit draußen unterwegs.

arte magazin Was haben Sie da gemacht?
Devid Striesow Ich habe Home-Hopping bei den alten Leuten gemacht, die bei uns in der Straße wohnten. Das war die Generation, die noch den Krieg miterlebt hatte. Es gab einen Jäger, dem ich immer auf der Geige vorspielte. Im Gegenzug durfte ich seine Flinte sehen. Ich glaube, das wäre heute nicht mehr denkbar. Ein Kapitän war noch dabei und eine alte Frau, die mir immer Schokoriegel schenkte. Sie haben aus ihrem Leben erzählt und ich habe zugehört und sie studiert. Das war sehr bereichernd – und kam mir in meinem Beruf auch schon oft zugute!

arte magazin Das heißt, Sie lassen Ihren Kindern auch völlige Freiheit?
Devid Striesow Natürlich möchte ich meinen Kindern ein Vorbild sein und Dinge an Sie weitergeben. Klavier und Musik, Sport. Da gibt es so viele Möglichkeiten, manchmal weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Man hat ja nur begrenzt Zeit – und begrenzt Kinder! Es geht aber immer nur darum, Grundlagen zu legen. Und sich dann wieder zurückzunehmen.

arte magazin Haben Sie alle Ihre Kinder schon mal ans Klavier gesetzt?
Devid Striesow Nein, aber ich habe schon mal eine Djembé ausgepackt, die kam sehr gut an. Man kann ja nie früh genug damit anfangen, wie man bei Mozart sieht!

arte magazin Ihr ältester Sohn Ludwig ist 23 und wie Sie Schauspieler. Waren Sie mit seiner Berufswahl einverstanden?
Devid Striesow Ja, ich habe früh beobachtet, dass ihm das großen Spaß bereitet, und habe ihn unterstützt. Auch bei der Berufswahl müssen Kinder ihren Weg und ihr Glück selbst finden.

arte magazin In Hanya Yanagiharas Roman „Ein wenig Leben“ wird das Eltern-Sohn-Verhältnis so beschrieben: „Seine Familie war glücklich, wenn er glücklich war, und so bestand seine einzige Verpflichtung ihnen gegenüber darin, glücklich zu sein“. Ist die Sache so einfach?
Devid Striesow Ich denke, man ist in der Verantwortung, sich dem anzupassen, was die Kinder glücklich macht. Als Vater nehme ich sehr gerne eine beratende, aber keine bestimmende Funktion ein. Natürlich wollen alle Eltern das Beste für ihre Kinder, man darf aber nicht aus Angst, das Kind könnte eine falsche Entscheidung treffen, versuchen, dem vorzugreifen. Ich hatte zum Beispiel kein Problem damit, als mein Sohn sagte, er wolle kein Abitur machen, sondern sich auf die Dinge konzentrieren, die ihn wirklich interessieren. Das ist seine Entscheidung.

arte magazin Ihre anderen Kinder sind noch klein – wenn alle das Haus verlassen haben, sind Sie etwa Mitte 60. Werden Sie unter dem Empty-Nest-Syndrom leiden?
Devid Striesow Ich kann es mir zumindest gut vorstellen, dieses Gefühl von Trauer, wenn die Kinder das Haus verlassen. Aber ich denke auch, dass der Titel des Films „Für immer Eltern“ stimmt. Das Leben geht einfach weiter. Trotzdem werden Kinder nicht aufhören, ihren Eltern Fragen zu stellen. Das hoffe ich jedenfalls.

arte magazin Vielleicht sind Sie dann auch Großvater.
Devid Striesow Zeitlich könnte das hinkommen, ja. Ein Kreislauf, wie bei den Naturvölkern. Nur, dass wir nicht alle unter einem Dach leben!

Verhaltensmuster zu durchbrechen, ist das Schwierigste im Leben

Devid Striesow, Schauspieler