»Wir sind alle Teil der Lösung«

In ihren Romanen fokussiert Maja Lunde wissen­schaftlich versiert auf den Klimawandel und das Artensterben – und bewegt ein Millionenpublikum. Dabei stellt sie mehr Fragen, als sie Antworten gibt.

Porträt von Maja Lunde
Foto: Oda Berby

Sie ist ein Kind der frühen Klima-bewegung: In den 1980ern erlebt Maja Lunde, wie ihre Eltern gegen das Waldsterben und Atomkraft demonstrieren. Die Auswirkungen der menschgemachten Erderwärmung? Schon damals ein selbstverständliches Diskussionsthema am Esstisch der norwegischen Familie. Als Jugendliche gründet ­Lunde mit Freunden eine Zeitung für Tierrechte. Als sie drei Jahrzehnte später ihren ersten Roman veröffentlicht, gelingt der Autorin ein Sensationserfolg, der sie an die Spitze des relativ neuen Literaturgenres ­Climate Fiction hievt: „Das Leben der Bienen“ spielt in drei Epochen und erzählt von der symbiotischen Beziehung zwischen Menschen, Pflanzen und Insekten. 2017 war es eines der meistverkauften Bücher in Europa. Zur Veröffentlichung ihres neuen Romans „Der Traum von einem Baum“, der Abschluss ihres sogenannten Klima-­Quartetts, zeigt ARTE ein Porträt, das ­Maja ­Lundes Leben beleuchtet. Für das Video-Gespräch mit dem ARTE Magazin nimmt sie in ihrem Arbeitszimmer in Oslo Platz.

Das Phänomen Maja Lunde: Klimawandel als Bestseller

Kulturdoku

Mittwoch, 10.5. — 21.45 Uhr
bis 8.6. in der Mediathek

Nahaufnahme einer Biene auf einer Blüte
Foto: Moritz Marz

ARTE Magazin Frau Lunde, was macht das Wetter im Norden? In zurückliegenden Wintern sprachen Sie oft über die zu milden Temperaturen in Norwegen. Haben Sie diesmal ausreichend gefroren? 

Maja Lunde Immerhin hatten wir wieder etwas mehr Schnee. Verglichen mit früher war aber auch dieser Winter zu warm.

ARTE Magazin In Südeuropa herrschte sogar extreme Winterdürre und viele befürchten, dass der nächste Sommer erneut Hitzerekorde bricht. Der Klimaschutz kommt derweil kaum voran. Verstehen Sie, dass junge Menschen am Klimawandel verzweifeln – und deshalb sogar bewusst auf Kinder verzichten? 

Maja Lunde Das zu beobachten, bricht mir als Mutter das Herz, aber ich verstehe die jungen Leute. Ich selbst schöpfe Hoffnung daraus, dass ich und viele meiner Freundinnen Kinder in diese Welt gesetzt haben. Wenn Menschen wegen des Klimawandels auf Kinder verzichten, heißt das, dass sie ihrer Hoffnungen beraubt wurden. Das sollte uns sehr traurig stimmen. Aber auch ermutigen, ihnen die Hoffnung zurückzugeben.

ARTE Magazin Wie könnte das gelingen? 

Maja Lunde Wir müssen weg vom Schwarz-Weiß-Denken. Nur weil die Situation dramatisch wirkt, ist noch nicht alles verloren. Statt sich der Traurigkeit und Depression hinzugeben, muss man sich bewusst machen, dass der Kampf gegen den Klimawandel eine kollektive Aufgabe ist. Jeder Mensch kann durch sein eigenes Handeln zum großen Ganzen beitragen. Hoffnung steht deshalb in unmittelbarem Zusammenhang mit Aktion.

ARTE Magazin Sie vertreten also nicht die Ansicht Ihrer Bestseller-Kollegin ­Naomi Klein, die in Büchern wie „Die Entscheidung: Kapitalismus versus Klima“ die Verantwortung an der Klimakrise weniger beim Individuum, sondern vor allem bei Großkonzernen sucht? 

Maja Lunde Natürlich tragen Konzerne viel Verantwortung. Aber wir sind in Sachen Klimawandel alle Teil des Problems – und somit auch Teil der Lösung. Mir fällt da der britische Polarforscher und Umweltschützer Robert Swan ein, der sagte: „Der größte Betrug an der Zukunft ist der Glaube, dass alle anderen das Problem lösen werden.“

ARTE Magazin Am schwersten fällt ja vor allem: Verzicht. Wie halten Sie es damit?

Maja Lunde Wir Europäer wissen längst, dass wir weniger Fleisch essen, weniger fliegen, bewusster konsumieren sollten. Ich versuche das mit meiner Familie so gut es geht und habe mein Reiseverhalten, auch beruflich, sehr verändert. Wir können aber noch viel mehr tun: Zum Beispiel uns auf lokaler Ebene engagieren und darüber größere Klimaschutz-Projekte in unseren Dörfern und Städten beeinflussen. Die Politik muss immer den Druck von ganz unten spüren, sonst ändert sich nichts. Je mehr Menschen mitanpacken, desto schneller wird die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zurückkehren.

ARTE Magazin Anders als im direkten Gespräch befassen Sie sich in Ihren Büchern gar nicht so sehr mit konkreten Lösungen. Viel öfter stellen Sie Fragen. 

Maja Lunde Ich habe nicht die eine Botschaft oder Moral, die ich verkünden möchte. Die Bücher meines Klima-Quartetts drehen sich eher um die übergeordnete Frage, wie es dazu kam, dass wir, der Homo sapiens, die Erde innerhalb weniger Jahrhunderte derartig verändern konnten. Wenn ich mit Leserinnen und Lesern spreche, spüre ich, dass sie ihre ganz eigenen Schlüsse aus meinen Texten ziehen. Das finde ich sehr gut. Ich benutze keine Labels, aber offenbar lassen sich meine Bücher gleichermaßen als Klimaliteratur, feministische Werke und Beziehungsgeschichten lesen. Für mich sind es einfach nur Romane.

ARTE Magazin Trotz der großen Zukunftsfragen dreht sich in ihren Erzählungen auch vieles um die Liebe. 

Maja Lunde Absolut, sie steht sogar im Mittelpunkt, wie ich finde. Es geht um unsere Liebe und Empathie zueinander und um die Liebe zu all den anderen Spezies, mit denen wir diesen Planeten teilen. Und es geht um die Liebe und Leidenschaft für die Wissenschaft.

ARTE Magazin Ihr Durchbruchsroman ist eine Liebeserklärung an die Biene, darin heißt es: „Ohne die Bienen wären die Blüten genauso nutzlos wie die Teilnehmerinnen eines Schönheitswettbewerbs. Eine Weile lang schön anzusehen, auf längere Sicht aber ohne jeden Wert.“ Was fasziniert Sie so an den Insekten? 

Maja Lunde Die Biene ist ein fantastisches Symbol für unsere Erde, zeigt sie doch, wie alles mit allem verbunden ist. Ein Bienenvolk ist ein kleiner Superorganismus, so wie die Erde im Großen einer ist. Wir Menschen könnten viel von Bienen lernen.

Zur Person
Maja Lunde, Autorin

Die 1975 in Oslo geborene Schriftstellerin schrieb Drehbücher sowie ­Kinder- und Jugend-bücher, bevor sie 2017 ihren ersten Climate-Fiction-Roman veröffentlichte. Ihr neues Werk „Der Traum von einem Baum“ erschien Ende April und spielt in Spitzbergen im Jahr 2110.