Mama, Mama, Papa, Kind

Wie ist es, in einer schwul-lesbischen Familie zu leben? Unser Autor kennt die Antwort
seit fünf Jahren. In einem ist er sich absolut sicher: Seine Tochter ist ein Wunschkind.

Regenbogenfamilie, Illustration
Illustration: Silke Werzinger

Neulich, als ich meiner Tochter gerade Butterblumen und Gänseblümchen in den Zopf geflochten hatte und wir noch über die Wiese liefen, nahm sie mich zur Seite und fragte leise: „Wir sind doch eine Regenbogenfamilie, oder?“ Sie ist erst fünf; dass sie ein Wort mit 17 Buchstaben ganz selbstverständlich ausspricht, ist für mich noch immer neu. Ich fragte nach und erfuhr, dass sie im Kindergarten über verschiedene Familienmodelle sprechen: Kinder, die bei der Mama aufwachsen, beim Papa, den Großeltern – oder eben bei zwei Müttern. „Ein Mädchen hat gesagt, dass ich keinen Papa habe“, sagte sie und ergänzte gleich selbst: „Aber das stimmt nicht, ich hab ja dich.“

Sie schafft es immer wieder, mir mit kleinen Sätzen für eine Sekunde mitten ins Herz zu stechen. Weil wir uns vielleicht doch zu selten sehen. Aber solche Momente zeigen mir auch, dass sie so langsam versteht, dass sie in einem besonderen Familienmodell lebt. Ihre Mutter und ich waren nie verliebt ineinander. Wir haben uns im Verein für Regenbogenfamilien kennengelernt. Dort treffen Schwule auf Lesben und reden über ihren Kinderwunsch. Wir haben viel geredet, Pläne geschmiedet, uns gefragt, wie es werden würde, wenn wir ein Kind bekommen – und dann sind wir zu dritt in eine Fertilisationsklinik gegangen.

Wir sind nicht die Einzigen, die so zu einer Familie wurden. Schätzungen der Bundeszentrale für politische Bildung zufolge leben 14.000 Kinder in Regenbogenfamilien. Wahrscheinlich sind es mehr, konkrete Zahlen werden nicht erhoben. Die Mehrheit dieser Familien sind solche mit zwei Müttern, so wie es im Grunde auch bei meiner Tochter ist. Ihre zweite Mutter, die auch Co-Mutter genannt wird, bekam das Sorgerecht, nachdem ich zugestimmt hatte. Unsere Verbindung ist trotzdem eng; und meine Freunde sagen, sie habe meine Augen.

Kinder wie meine Tochter sind immer Wunschkinder. Das zeigt auch der ARTE-Dokumentarfilm „Meine alles außer gewöhnliche Familie: Aufwachsen in einer Regenbogen­familie“. Meine Tochter weiß genau, wo sie hingehört und wer ihr Vater ist, wer ihre Großeltern, Onkel und Tanten sind. Wenn im Film das Mädchen Linn mit ihrem Vater Eike beim Eisessen sitzt, spürt jeder die Chemie zwischen den beiden – die Kamera fängt einen besonderen Moment ein, den ich auch kenne. Ich habe von meiner Tochter gelernt, was der Unterschied zwischen Heidelbeeren und Blaubeeren ist („Heidelbeeren sind innen weiß, Papa!“); und ich habe ihr von ­Greta ­Thunberg erzählt und was sie erreicht hat, mit nur einem Schild vor ihrer Schule.

Meine alles außer gewöhnliche Familie: Aufwachsen in einer Regenbogenfamilie

Dokumentarfilm

Mittwoch, 7.7. — 23.00 Uhr
bis 5.8. in der Mediathek

Bestimmte Rollen müssen sich erst finden
Filmvater Eike hat Kinder mit mehreren Frauenpaaren gezeugt. Ich bin seit fünf Jahren bei den „Rainbow Daddies“ in Berlin aktiv und sehe, dass es noch viel mehr Familienmodelle gibt: Heteros, die sich plötzlich in einen Menschen des gleichen Geschlechts verlieben, Pflegekind-Familien, Trennungen. Im Film nähern sich die verschiedenen Familienteile einander an. Das ist behutsam erzählt, und auch Konflikte werden sichtbar. Die Mütter fühlen sich so sicher, dass sie in die Kamera von ihren Zweifeln und ihren Problemen mit Eike berichten.

Denn das ist etwas, was viel zu selten beleuchtet wird: Wie viel geredet werden muss in Regenbogenfamilien, wie bestimmte Rollen sich erst finden müssen. Ich bin nicht blauäugig in dieses Abenteuer geschlittert. Ich habe mit den Müttern meiner Tochter vor ihrer Geburt vieles vorher zu vereinbaren versucht – bis hin zu möglichen Streitfragen und wo wir Weihnachten verbringen. Doch dann ist das Leben passiert: Krankheit, Trennung, Enttäuschung, Wiederannäherung und am Ende: unsere Tochter, die uns zu einer Familie macht.

Der Film lässt auch jene zu Wort kommen, die es sich nicht ausgesucht haben, dazuzugehören: die Großeltern. Vater zu werden, hat auch das Verhältnis zu meinen Eltern verändert, zu meinem Bruder, meinen Tanten und Onkeln – auch zu Kollegen und Freunden, schwul wie hetero. Mein Kinderwunsch war ein Grund für die Trennung von meinem Ex-Freund und hat dazu geführt, dass ich jetzt etliche schwule Väter in Berlin kenne. Manchmal treffen wir uns zu Ausflügen. Da sieht meine Tochter, dass es ganz viele gibt wie sie. Und ganz viele Regenbogen-Papas. Die Bilder, die dabei entstehen, sie kommen in ein: Familienalbum.

Ich bin bei den ›Rainbow Daddies‹ und sehe viele Familienmodelle

Sören Kittel, Journalist und Buchautor