»KLANG IST, WAS MAN FÜHLT«

VIRTUOSE Fast sieben Jahrzehnte ist es her, das Itzhak Perlman seine Liebe zur Geige entdeckte. ARTE widmet dem Violinisten ein Filmporträt. Ein Gespräch über Chancen, Töne und Genuss.

Foto: DREW GURIAN/masterclass

Beurteilt mich nach dem, was ich kann, und nicht nach dem, was ich nicht kann“, sagte Itzhak­ Perlman­ einmal. Seit Kindertagen ist er auf Gehhilfen angewiesen. Und heute einer der renommiertesten Geiger der Welt. 1945 als Sohn polnischer Emigranten in Tel Aviv geboren, kam er mit 13 Jahren nach New York, wo er nach wie vor mit seiner Familie lebt. Viele unterschätzten ­Perlman damals aufgrund seiner Behinderung. ­Jascha ­Heifetz und ­Yehudi ­Menuhin aber sahen in ihm schon früh den nächsten großen Virtuosen ihres Fachs. Recht sollten sie behalten. Dem ARTE Magazin erzählt der 74-Jährige von seiner Leidenschaft und einer ganz besonderen Liebesgeschichte.

ARTE MAGAZIN Herr Perlman, ist Ihr Lieblingsgeräusch wirklich das Zischen von Zwiebeln in einer Bratpfanne?
Itzhak Perlman Das muss ich mal gesagt haben, jedenfalls klingt es nach mir. Beim Unterrichten werfe ich auch ständig Klänge und Essen in einen Topf. Natürlich ist das nicht mein Lieblingsklang, aber es macht mir Spaß, diese Vergleiche zu ziehen.

ARTE MAGAZIN Dann sind Sie ein Genießer?
Itzhak Perlman Oh ja, ich liebe es, zu kochen. Und zu essen – leider! In meinem Alter muss ich etwas aufpassen.

ARTE MAGAZIN US-Präsident Barack Obama sagte einmal, dass Sie die Musik wie auch alles andere im Leben mit Leidenschaft und Freude behandeln. Was ist Ihr Geheimnis?
Itzhak Perlman Wissen Sie, das ist einfach Teil meiner DNA, meiner Persönlichkeit. Als ich als Kind zum ersten Mal Musik im Radio hörte, berührte mich das sofort. Anderen Leuten ist das nicht wichtig. So ist jeder unterschiedlich. Meine Leidenschaft für die Musik ist angeboren. Und das schwappt sicherlich auf andere Bereiche des Lebens über.

ARTE MAGAZIN Mit vier Jahren erkrankten Sie an Polio und benötigen seitdem Gehhilfen. Kurz danach begannen Sie, Geige zu spielen. Sollte Ihnen das Instrument helfen, mit den Folgen der Krankheit besser zurechtzukommen?
Itzhak Perlman Nein, ich wollte schon mit drei Jahren Geigenunterricht nehmen, war aber noch zu klein. Mit fünf hat es dann endlich geklappt. Meine Eltern entschieden, dass ich trotz der körperlichen Einschränkung Unterricht bekommen sollte. Ihre Einstellung zu der Krankheit hat mich sehr geprägt. Ich tat mir nie selbst leid und fokussierte mich immer auf die Dinge, die ich konnte. Mit meinen Freunden spielte ich sogar Fußball – mit den Krücken war ich der perfekte Torwart.

ARTE MAGAZIN Für den Film „Schindlers Liste“ (1993) haben Sie die Titelmelodie eingespielt. Wenn Sie heute mit dem Stück auftreten, schwingt dabei die Erinnerung an die Flucht Ihrer Eltern vor dem Holocaust mit?
Itzhak Perlman Als mich der Komponist John ­Williams fragte, ob ich den Soundtrack des Films spielen möchte, kannte ich die Geschichte von Oskar Schindler noch nicht. Ich wusste nicht, dass er so viele Juden gerettet hatte. Meine Eltern hatten es geschafft, vor dem Krieg von Polen nach Israel zu emigrieren. Aber viele meiner Verwandten, darunter auch meine Großeltern, verloren im Holocaust ihr Leben. An sie und all die anderen Opfer denke ich beim Spielen.

ARTE MAGAZIN Sie sagten einmal, je mehr man im Herzen trägt, desto besser klingt das, was man aus der Geige ­herausholt.
Itzhak Perlman So ist es. Der Klang der Geige ist, was man fühlt. Töne sind wie Fingerabdrücke – jeder hört und spürt die Musik ganz individuell unterschiedlich und einzigartig. Wenn mich jemand fragt, wie ich es schaffe, diesen Klang zu erzeugen, kann ich das gar nicht beantworten. Ich fühle es einfach.

ARTE MAGAZIN Ob der Klang nicht auch an der Stradivari­ liegt, auf der Sie spielen?
Itzhak Perlman Meine Emotionen beim Spielen äußern sich auf jeder Geige gleichermaßen. Die ­Stradivari macht es mir aber leichter, meine Gefühle auszudrücken. Sie springt direkt auf meine Stimmungswechsel und Klangvorstellungen an.

ARTE MAGAZIN 1986 kauften Sie die Geige ­Yehudi ­Menuhin ab. Wie kam es dazu?
Itzhak Perlman Zu Beginn meiner Karriere in den 1960ern besuchte ich ihn einmal in England und durfte seine Geige, eben diese Stradivari, ausprobieren. Ich hatte noch keine 30 Sekunden darauf gespielt, da war ich schon Hals über Kopf in sie verliebt. Ich hatte meine Traumgeige gefunden. Und bat ­Menuhin, sollte er sie jemals verkaufen wollen, an mich zu denken. 1986 ging dieser Traum in Erfüllung.

Itzhak Perlman: Ein Leben für die Musik

Porträt
Sonntag, 28.6. • 22.55 Uhr
bis 27.7. in der Mediathek.