Letzte Hoffnung Halluzinogene

Psychedelika wie LSD und Zauberpilze waren lange verpönt, galten als gefährliche Rauschmittel. Heute sieht die Forschung großes medizinisches Potenzial in den Substanzen.

Mona Eing und Michael Meißner für ARTE-Magazin

Psychedelika, das sind doch diese Hippie-Drogen. Wer sie nimmt, findet sich in einer Welt voller bunter, wabernder Bilder wieder. Oder auch, wenn es schlimm kommt: auf einem Horrortrip, gar in einer Psychose. Synthetisch hergestelltes LSD, Meskalin aus Peyote-Kakteen oder der in einigen Pilzen vorkommende Wirkstoff Psilocybin galten lange als gefährlich, im besten Fall spielten sie in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle. Dabei steckte hinter diesem Image auch politisches Kalkül: Die in den 1960ern in den USA regierenden Republikaner nutzten es als Argument, um den „War on Drugs“, den Krieg gegen Drogen, voranzutreiben. Auch die Forschung zu den Substanzen lag lange brach – bis jetzt.

In jüngster Zeit arbeiten immer mehr Neurowissenschaftler und Mediziner mit psychedelischen Drogen und kommen teils zu erstaunlichen Ergebnissen. Sie knüpfen damit an Forschungsfragen an, die bereits in den 1950er und 1960er Jahren aufgeworfen wurden: Wie wirken die Stoffe im Gehirn, und an welcher Stelle können wir von ihnen profitieren? Im Februar 2022 fand das Johns Hopkins Center for Psychedelic and Consciousness Research in den USA heraus, dass Patienten mit Depressionen, die mit Psilocybin behandelt wurden – dem Wirkstoff der Magic Mushrooms genannten halluzinogenen Pilze – nach zwölf Monaten noch einen antidepressiven Effekt spürten. In der Schweiz untersuchen Experten aktuell die Auswirkung bestimmter Halluzinogene auf Alkoholsucht und Depressionen; es ist das einzige Land, das schon seit den 1990ern wieder an Psychedelika forscht. In England, Frankreich, Australien und weiteren Ländern werden ebenfalls immer mehr Forschungsarbeiten publiziert, die etwa Patienten mit Angststörungen und Essstörungen in den Fokus rücken. 

Und auch in Deutschland tut sich etwas: Eine umfassende Psilocybin-Studie, die in der ARTE-­Dokumentation „Heilende Drogen“ vorgestellt wird, bekam im November 2022 über das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) weitere 2,6 Millionen Euro Fördergelder. „Eine Ergänzung der Studie, die seit 2021 läuft und großes Patienteninteresse hervorgerufen hat“, sagt ­Gerhard ­Gründer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim (ZI) im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Er leitet das Projekt, das mit der ­Charité Berlin durchgeführt wird und auf 144 Probanden mit therapieresistenter Depression ausgerichtet ist – Menschen, die weder mit Psychotherapien noch mit Antidepressiva geheilt werden konnten. In Deutschland ist dies die erste wissenschaftliche Arbeit mit psychedelischen Substanzen seit den 1970ern. „Damit wir das therapeutische Potenzial umfassend abschätzen können, brauchen wir allerdings noch mehr und noch umfangreichere Studien“, so Gründer. Erst dann sei eine medizinische Zulassung für Psychedelika als Arzneimittel denkbar. Gründer rechnet damit in etwa fünf Jahren.

Eine Hoffnung für Menschen mit psychischen Erkrankungen? „Nicht bei allen Patienten schlagen gängige Therapien an. Darum sehnen sich viele nach alternativen Behandlungswegen“, sagt ­Katrin ­Preller, Forschungsgruppenleiterin am Institut für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Universität Zürich, im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Sie betont: „Für psychische Erkrankungen sind in den vergangenen 20 Jahren nur wenig neue Behandlungsmöglichkeiten auf den Markt gekommen.“

Heilende Drogen

Samstag, 7.1. — 21.45 Uhr

bis 6.4. in der Mediathek

NEUE HIRNVERKNÜPFUNGEN GEGEN DEPRESSIONEN

Weltweit leiden laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) 280 Millionen Menschen an Depressionen. Auch Abhängigkeiten, Angststörungen und Neurosen sind weit verbreitet. Um zu verstehen, warum Forschende bei Psychedelika Potenzial vermuten, muss man ihre Wirkungsweise im Gehirn betrachten. Nimmt ein Mensch LSD, Psilocybin oder Meskalin, dockt sich die Substanz im Gehirn an den Serotonin-Rezeptor 2A und verändert so die Signalgebung des zentralen Nervensystems, erklärt Preller. Nach 20 bis 30 Minuten spürt die Person erste visuelle Effekte. Raum und Zeit verzerren sich, Sinneseindrücke werden verändert wahrgenommen. Forschende vom Imperial College in London veranschaulichten 2016 anhand von Gehirn-Scans mehrerer Probanden, dass sich nach der Einnahme von LSD der Austausch von Informationen zwischen unterschiedlichen Gehirnregionen schlagartig erhöht. Diese neuen Verknüpfungen seien für die synästhetische Wahrnehmung verantwortlich. Laut der Wissenschaftler sorgen sie zudem dafür, dass sich festgefahrene Strukturen auflösen, die psychische Krankheiten bei Patienten verursachen. 

All das ahnte der Schweizer Chemiker Albert Hofmann (1906–2008) noch nicht, als er 1938 das Halluzinogen Lysergsäurediethylamid (LSD) entdeckte. In seinem Baseler Labor wollte er aus dem Getreidepilz Mutterkorn ein Medikament zur Kreislaufstimulation generieren – und schuf damit, quasi zufällig, eine der wirkungsstärksten bekannten psychedelischen Substanzen. Wie intensiv nur ein winziger Tropfen davon wirkt, erlebte Hofmann, als er 1943 selbst LSD probierte – als weltweit erster Mensch. Mit einer versehentlichen Überdosis fuhr er auf dem Rad nach Hause. Zunächst erschrocken von dem starken visuellen Effekt, notierte er später, als der Rausch etwas abgeklungen war: „Jetzt begann ich allmählich, das unerhörte Farben- und Formenspiel zu genießen, das hinter meinen geschlossenen Augen andauerte.“ Hofmann war es auch, dem es gelang, aus Pilzen, die der französische Mykologe Roger Heim (1900–1979) aus Mexiko mitgebracht hatte, 1958 den Wirkstoff Psilocybin zu isolieren. 

Die Studien, die daraufhin mit Halluzinogenen durchgeführt wurden, sollten allerdings bald enden: Die Hippie-­Bewegung der 1960er war konservativen Staatsmännern ein Dorn im Auge, und der damalige US-Präsident ­Richard ­Nixon (1913–1994) rief seinen folgenschweren, internationalen Krieg gegen Drogen aus. Die politischen Motive verriet der Nixon-­Vertraute John ­Ehrlichman (1925–1999) später: „Die Nixon-Kampagne 1968 und die folgende Regierung hatten zwei Feinde: die linken Kriegsgegner und die Schwarzen.“ Dadurch, dass sie die Öffentlichkeit dazu gebracht hätten, Hippies mit Marihuana und LSD sowie Afroamerikaner mit Heroin zu assoziieren, habe man diese gesellschaftlichen Gruppen diskreditieren und den Konsum hart bestrafen können, so Ehrlichman. „Wussten wir, dass wir über die Drogen gelogen haben? Natürlich wussten wir das!“ 

Heute sind ausgerechnet die USA Vorreiter in Sachen Drogenlegalisierung. Das ebenfalls psychedelisch wirkende Marihuana wird in Kalifornien und zahlreichen weiteren Bundesstaaten bereits frei verkauft – ähnlich wie es Bundesgesundheitsminister Karl ­Lauterbach (SPD) auch in Deutschland plant. Und: Nach Oregon wird Colorado der zweite US-Staat, der Magic Mushrooms für medizinische Zwecke legalisieren will. „Um die Vorurteile gegenüber Psychedelika zu überwinden, müssen wir uns mit ihnen auseinandersetzen“, betont Gesundheitsexperte ­­Gerhard Gründer und meint dabei etwa die Angst vor einem „Bad Trip“: „Den Begriff benutzen wir nicht, wir sagen dazu: ,herausfordernde Erfahrung‘. Dass im psychedelischen Rausch Unangenehmes erlebt wird, geschieht häufig. Probanden mit solchen Erlebnissen können mit guter Integration und Interpretation aber eine Bereicherung erfahren.“ Und wie steht es um die Gefahr, eine Psychose zu entwickeln? „Bei Menschen mit einer Disposition können Halluzinogene Psychosen oder Manien auslösen“, sagt ­Gründer. In wissenschaftlichen Studien sei daher ein sorgfältiges Screening üblich: So werden bestimmte Patientengruppen direkt ausgeschlossen. Aufgrund dieser Vorauswahl schätzt auch ­Katrin ­Preller die Nebenwirkungen im klinischen Rahmen als „überschaubar“ ein. Und sie betont: Anders als etwa bei Kokain, Heroin oder Alkohol gebe es so gut wie kein Suchtpotenzial bei Substanzen wie LSD und Psilocybin.

Viele Patienten sehnen sich nach alternativen Behandlungswegen

Katrin Preller, Neurowissenschaftlerin Universität Zürich

»Eine neue Industrie«

Die Journalistin Anne Philippi hat eine Lifestyle-­Plattform rund um psychedelische Drogen gegründet. Warum?

 

Chemiker zeichnet Formel
Foto: Marcus Zahn/ZDF

arte Magazin Frau Philippi, auf Ihrer Internet-Plattform geht es um LSD und andere illegale Substanzen, Sie sprechen auf Instagram aber von einer „­Gesundheits- und Wellness-­Website“ – wie passt das zusammen?

Anne Philippi Ich habe „The New Health Club“ mit Expertengesprächen als Podcast gestartet; kurz darauf begann die Pandemie. In der Folge häuften sich Anfragen nach Therapien – und auch Anfragen, die sich auf Psychedelika als alternative Heilmethode bezogen. Vielen ging es um Mental Wellness, also eine gezielte Behandlung für Körper, Geist und Seele. 

arte Magazin In den Niederlanden, den USA und weiteren Ländern gibt es bereits legale LSD- und Magic-­Mushroom-­Seminare: Dort erleben Teilnehmende, begleitet von Fachpersonal, Rauschzustände durch psychoaktive Substanzen. Ist das nur ein Trend für Sinnsuchende oder als Therapieansatz ernst zu nehmen?

Anne Philippi Wie die neuen Forschungen zu Psychedelika zeigen, können Substanzen wie LSD unter bestimmten Voraussetzungen therapeutisch eingesetzt werden – bisher sind solche Retreats aber noch nicht für psychisch Kranke bestimmt. Es geht eher um Menschen, für die das Thema Mental Health, also geistige Gesundheit, immer wichtiger wird. Für diese Leute entwickelt sich gerade eine neue Industrie rund um Psychedelika. Sie richtet sich an jene, die weder komplett mental gesund sind noch ernsthaft psychisch krank.

arte Magazin Auch diese können einen „Bad Trip“ erleben.

Anne Philippi Man muss bei intensiven psychedelischen Rauschzuständen immer damit rechnen, dass bei einem Menschen unterbewusste Erinnerungen hochkommen, die aus Selbstschutz lange verdrängt wurden. Wenn man es aber mit der richtigen Begleitung während eines Trips schafft, diese Bilder zu beobachten, und sie dann mit einem Therapeuten bearbeitet, kann man einen Mehrwert daraus ziehen. 

arte Magazin Gibt es bestimmte Qualitätsstandards für derartig begleitete Drogenerfahrungen? 

Anne Philippi Bisher existieren keine zertifizierten Einrichtungen mit Standards für medizinisch geschultes Personal. Folgende Kriterien wären besonders wichtig: intensive Vorgespräche mit Therapeuten, am besten Psychiatern, und eine fundierte Nachbereitung. Erkenntnisse aus einem Trip müssen gut integriert werden.