Von Herzen traurig

Mehr als „Pretty Woman“: Roy Orbison schrieb zig Hit-Balladen, die bis heute Rockabillys und Romantiker inspirieren. Selbst Familientragödien ließen das Falsett des Texaners nicht verstummen.

Stark kurzsichtig, nutzte Roy Orbison schwere, dunkle Sonnenbrillen als Sehhilfe – und Markenzeichen. Seine charmante, zartfühlende Art und sein hoher Gesang etablierten ihn als Gegen­entwurf zu den vielen machohaften, übermaskulinen Rockmusikern seiner Generation. Foto: Picture Alliance/Avalon/Retna

Seine düsteren Liebesballaden? Zu schnulzig! Seine dickglasige Hornsonnenbrille und die ewige Schmalztolle? Zu altbacken! Anfang der 1980er Jahre galt ­Roy ­Orbison als abgeschrieben. Erst kurz vor seinem Tod war dem sanftmütigen Sänger ein Happy End vergönnt: Wie ­Elvis ­Presley, ­Johnny Cash und Carl ­Perkins, drei weitere weiße Rock-’n’-Roll-­Pioniere seiner Generation, schaffte der Texaner ein Comeback, das seine Karriere würdevoll abrundete. Angetrieben wurde es nicht zuletzt von Hollywoods Avantgarde-­Meister David Lynch: Der ließ ­Orbisons Song „In Dreams“ in einer Schlüsselszene seines surrealen Thrillers „Blue Velvet“ (1986) von Dean Stockwell singen. Auch die Allstar-Band Traveling Wilburys, die Ex-Beatle ­George ­Harrison im Jahr 1988 aus einer Laune heraus mit Tom Petty, Bob ­Dylan, Jeff ­Lynne und ­Orbison formte, trug mit Evergreens wie „Handle with Care“ dazu bei. 

Die ersten Gitarren-Akkorde lernte Roy ­Orbison von seinem Vater, einem Automechaniker. Der hatte ihm zum sechsten Geburtstag eine kleine Klampfe geschenkt. Als er irgendwann dazu sang, erschrak Klein-Roy kurz vor sich selbst: „Ich dachte, meine Stimme wäre eine Art Wunder“, erinnerte er sich später. Ausgerechnet der Umstand, dass seine Eltern in den Kriegsjahren der 1940er in einer Munitionsfabrik arbeiteten, wohin sie ihre Kinder mitnahmen, sollte ­Orbisons Talent befeuern. „Es war ein guter Ort, um Musik zu machen – in einer Zeit intensiver Emotionen“, sagte er in einem Interview mit dem ­Rolling Stone. „Wenn die Jungs tranken, tranken sie mit Genuss, und wenn sie sangen, sangen sie aus vollem Herzen – und ich durfte mit diesen Burschen aufbleiben und singen.“ Was sich bezahlt machte: Sein Tenor und sein markantes Falsett sollten den durchaus selbstverliebten ­Elvis ­Presley so sehr begeistern, dass er ­Orbison den „besten Sänger der Welt“ nannte. Den besten!

Nachdem er 1956 mit der Rockabilly-Boyband The Teen Kings und dem Song „Ooby Dooby“ einen ersten Charterfolg gefeiert hatte, begann ­Orbison zu experimentieren – und sein Profil als Sänger und Komponist zu schärfen. In Abgrenzung zu den ungestümen Anfangsjahren wollte er dem Rock ’n’ Roll eine elegantere, eher orchestrale Note verpassen. Mit dem texanischen Songwriter Joe ­Melson als Partner klappte das: So veröffentlichte ­Orbison 1960 erst die Erfolgssingle „Uptown“ und dann die Jahrhundertballade „Only the Lonely (Know the Way I Feel)“, die sich weltweit millionenfach verkaufte. Sowohl ­Elvis als auch den ­Everly ­Brothers war das Stück zuvor angeboten worden; sie lehnten es aber ab, weil der Tonumfang der Stimme mehr als zwei Oktaven betrug. Für ­Orbison, der sich in Anlehnung an den italienischen Operntenor den Spitznamen „Caruso of Rock“ ersang, kein Problem.

 

Foto: David Redfern/Redferns/Getty Images

Von Pretty Woman zu Only the Lonely: Die Rocklegende Roy Orbison

Porträt

Freitag, 5.8. — 21.55 Uhr 

bis 13.12. in der Mediathek

 

DER UNFALL UND DAS BRENNENDE HAUS

In der ersten Hälfte der 1960er Jahre folgte schließlich Hit auf Hit – darunter „Crying“, „In Dreams“ „It’s Over“ und natürlich „Pretty Woman“, sein erfolgreichstes Stück. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere erlebte Orbison allerdings gleich zwei Familientragödien: Erst verunglückte seine Frau -Claudette 1966 tödlich bei einem Motorradunfall. Dann kamen zwei Jahre später seine beiden ältesten Söhne Roy jr. und Anthony ums Leben, beim Brand in einem seiner Häuser. Das Einzige, was ihn da zu trösten vermochte: die Routine und seine eigenen Songs. „Nachdem beides passiert war, ging ich auf Welttournee. Sozusagen als Therapie, aber auch, um einfach das zu tun, was ich bis dahin getan hatte“, erzählte Orbison rückblickend. 

Ob es an der Trauer lag oder an dem sich wandelnden Zeitgeist – bis sein Comeback in Fahrt kam, das im Januar 1988 auch das TV-Special „A Black and White Night“ hervorbrachte, gelang dem Musiker wenig Spektakuläres. Ausgerechnet mitten in der Promo-Hektik rund um das gefeierte Debüt der Traveling Wilburys, begann Orbison sich unwohl zu fühlen. Im November 1988 reiste er ins Haus seiner Mutter nach Tennessee. Dort starb er im Alter von 52 Jahren an einem Herzinfarkt. Roy Orbison hinterließ das posthume Spätwerk „Mystery Girl“ (1989), sein 22. Studioalbum – und eines seiner besten.

Roy Orbison: Black and White Night

Konzert

Freitag, 5.8. — 22.50 Uhr

bis 2.11. in der Mediathek