Gott des Gemetzels

Bei ihm sind die Sprüche lässig und die Morde blutig: Mit Filmen wie „Pulp Fiction“ und „Kill Bill“ hat Quentin Tarantino eine Generation geprägt. Wie wirkt sein Werk heute?

Schauspielerin Uma Thurman sitzt in Tarantinos Klassiker
In Tarantinos Action-Zweiteiler "Kill Bill" spielt Uma Thurman eine Auftragskillerin, die den Tod ihres Bräutigams und ihres ungeborenen Kindes rächt. Foto: picture alliance/COLLECTION CHRISTOPHEL/NZ

Man kann es als Warnung lesen. Das Wort „Pulp“, so wird es am Anfang des Gangsterfilms „Pulp ­Fiction“ (1994) eingeblendet, beschreibe eine feuchte, unförmige Masse. Aber auch: Schund, minderwertige Kulturprodukte. Ramschromane, die, billig hergestellt und verkauft, reißerische Geschichten mit holzschnittartigen Figuren erzählen. Und wer sich diesen Film von ­Quentin ­Tarantino anguckt, merkt schnell: Dem Regisseur liegen beide Bedeutungen am Herzen. Er mischt Kinokunst und Trash und spart nicht an glibberigen Details. Bald schaut man etwa seinen Hauptdarstellern ­Samuel L. ­Jackson und John ­Travolta dabei zu, wie sie den blutbeschmierten Innenraum eines Chevys putzen. Der Auftragskiller ­Vincent ­Vega, gespielt von ­Travolta, hat aus Versehen einem Mitfahrer ins Gesicht geschossen, daher die Sauerei. Nun hantieren er und sein Partner mit Reinigungsmitteln. Und streiten darüber, wer von beiden das Hirn wegmachen muss. Das ist eklig, geschmacklos – und zugleich ziemlich lustig.

Jackie Brown

Thriller

Sonntag, 22.6. —
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Mit „Pulp Fiction“ bescherte Tarantino nicht nur ­Travolta eine zweite Karriere, er selbst etablierte sich praktisch über Nacht. Kaum 31 Jahre alt, bekam er die Goldene Palme in Cannes und einen Drehbuch-­Oscar. Seitdem gilt er als einer der wenigen Regisseure, deren Stil man sofort erkennt. Weil seine Mittel so prägnant sind: Da ist der wilde Mix aus Genre-Elementen, von asiatischer Kampfkunst bis Italo-Western. Da sind die palavernden, ironischen Dialoge und die mitreißende Musik. Die grotesk überzeichnete Gewalt. Wenn ­Tarantino einen Film ins Kino bringt, was nicht besonders häufig passiert, ist das wie ein Trip in ein eigenes Universum.

Manche würden sagen: Es ist ein Abstecher in eine Welt, deren Ideale in die Jahre gekommen sind. Bei ­Tarantino standen Coolness und Provokation stets an erster Stelle. Politische Korrektheit eher nicht. Was bedeutet das in einer Zeit, die moralische Verantwortung in der Kunst einfordert?

 

 

Regisseur Quentin Tarantino und Schauspieler Bruce Willis.
Quentin ­Tarantino (Foto, l.) mit ­Bruce ­Willis am Set von „Pulp Fiction“ (Foto, r.). Der Film machte den Regisseur berühmt. Foto: picture alliance/PictureLux/The Hollywood Archive

Seinen letzten Film veröffentlichte ­Quentin ­Tarantino 2019, und man kann dabei schon den Eindruck bekommen, dass er ein wenig milder geworden ist. „Once Upon a Time in Hollywood“ ist eine softpopsummende Liebeserklärung an die goldenen Tage des Filmgeschäfts. Verortet im Jahr 1969, handelt er von zwei Männern im Karriere­tief: Der Western-Darsteller Rick Dalton (­Leonardo ­DiCaprio) ergattert nur noch mickrige Parts als TV-Bösewicht, sein Stunt-Double Cliff Booth (Brad Pitt) ist entsprechend unausgelastet. Dann ziehen auch noch Roman ­Polański und seine Frau ­Sharon ­Tate in die Villa nebenan: leichtfüßig, reich, die Stars von morgen. Natürlich wäre es aber kein Tarantino-­Film, wenn nicht doch ein kleines Blutbad käme. Bald streifen die Mitglieder der ­Manson Family durch die Nachbarschaft.

QT8: Quentin Tarantino – The First Eight

Porträt

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Brad Pitt als abgehalfterter Stuntman und Gelegenheitshandwerker in „Once Upon a Time in Holly­wood“. Bei Tarantino standen Coolness und Provokation stets an erster Stelle. Foto: picture alliance/PictureLux/Sony Pictures/The Hollywood Archive

Resoluter Umgang mit Popkultur

Dass sie bei Tarantino nicht triumphieren, ist der Kniff eines Regisseurs, der mit Vorliebe historische Ereignisse umschreibt. In „Django Unchained“ (2012) etwa metzeln Sklaven grausame Plantagenbesitzer nieder. In „Inglourious Basterds“ (2009), der im von Nazi-Deutschland besetzten Frankreich spielt, verbrennen Hitler und Goebbels in einem Pariser Kino. Immer geht es Auge um Auge – Vergeltung ist eines seiner großen Motive. Man hat Regieführenden gerne einen Allmächtigkeitskomplex unterstellt, weil sie so gerne Schicksal spielen. Bleibt man im Bild, ist Tarantino der Gott des Gemetzels.

So oder so gehört es zu seiner Legende, dass er schon als kleiner Junge vernarrt in das Kino war. Wie wurde dieser Mann, geboren 1963 in Knoxville, Tennessee, zum vielleicht berühmtesten Filmnerd der Welt? In erster Linie wohl durch einen resoluten Umgang mit Popkultur. Mit seiner jungen Mutter wuchs Tarantino größtenteils außerhalb von Los Angeles auf. Weil ihr die Betreuungsoptionen fehlten, nahm sie ihn dauernd mit ins Kino – pragmatische Kindererziehung nach Art der 1970er Jahre. Offenbar keine Seltenheit – Joan Didion, so steht es im Buch „Notes to John“, schaute den Horrorfilm „Die Nacht der lebenden Toten“ (1968) gemeinsam mit ihrer damals siebenjährigen Tochter. Obwohl ­Tarantino also im Grundschulalter brutale Streifen wie „Dirty Harry“ (1971) oder „Der Pate“ (1972) sah, verstörte ihn angeblich kein Film so sehr wie „Bambi“ (1942): wegen der überraschenden „Wendung ins Tragische“, wie er in seinem Buch „Cinema Speculation“ schreibt.

Gab es einen Film, den ich nicht ertragen konnte? Ja. ›Bambi‹

Quentin Tarantino, Regisseur

Cool sein ist alles

Mit dieser Frühinitiierung war offenbar das Lebensthema gesetzt. Alles, was auf der Leinwand, im Fernsehen oder auch nur auf Werbetafeln zu sehen war, verleibte er sich ein. „Ich habe nie jemanden getroffen, der ein derart enzyklopädisches Filmwissen besitzt“, sagte der Schriftsteller Brett Easton Ellis, selbst bekannt für ein enzyklopädisches Filmwissen, einmal über ihn. Dementsprechend machte Tarantino auf dem Karriereweg wenige Schlenker: Nach dem Schulabbruch arbeitete er in einer Videothek, schrieb Drehbücher und realisierte den ersten Spielfilm. Für sein Debüt „Reservoir Dogs“ (1992), die Geschichte eines missglückten Juwelenraubs, verpflichtete er Harvey Keitel.

Wie so vieles andere in Tarantinos Werk ist „Reservoir Dogs“ eine Hommage an Los Angeles, die Stadt mit dem hellgelben Sonnenlicht und den schäbigen Schattenseiten. Obwohl der Film aus Kostengründen vor allem in einer leeren Lagerhalle gedreht wurde, ist diese Atmosphäre überall zu spüren. Erst recht gilt das für den Nachfolger „Pulp Fiction“, der aufgekratzt und in Episoden von Kriminellen und schrägen Gestalten erzählt. Unvergesslich die Szene, in der Uma Thurman und John Travolta in einem Diner an einem Twist-Tanzwettbewerb teilnehmen. Mit „Kill Bill – Volume 1“ (2003) und „Kill Bill – Volume 2“ (2004) machte Tarantino dann das ganz große Fass auf. Die Geschichte einer Auftragskillerin, die den Tod ihres Bräutigams und ihres ungeborenen Kindes rächt, verband die Kampfkunst japanischer und chinesischer Klassiker mit Western-Action und dem Look der Jahrtausendwende. Was Tarantino über Jahrzehnte an Nischenwissen gesammelt hatte, floss hier ein.

Regisseur Quentin Tarantino und Stars auf dem roten Teppich.
­Quentin ­Tarantino und Darsteller aus „Pulp Fiction“ 1994 bei den Filmfestspielen in Cannes. Foto: FocKan/WireImage/Getty Images

Und tatsächlich hätte es für all das kaum einen besseren Zeitpunkt geben können. Denn mit seinem skurrilen Humor und der Vorliebe für Abseitiges traf ­Tarantino „mit einem Knall in den Zeitgeist“, so beschrieb es ­Manohla ­Dargis, die heutige Chef-Filmkritikerin der New York Times, in einem Zeitungsartikel. Denn das Zitieren von Insiderwissen und die ironische Distanz zu allem waren typisch für die Popkultur der Generation X. Diese Kohorte der zwischen Mitte der 1960er Jahre und 1980 Geborenen war im Wohlstand aufgewachsen und quittierte die vermeintliche historische Ereignislosigkeit nach dem Ende des Kalten Krieges mit ausgestellter Langeweile. „Coolness war wichtiger als alles andere“, schreibt der US-amerikanische Kulturkritiker Chuck ­Klosterman in seinem Buch „The Nineties“. Filme wie „Pulp ­Fiction“ waren Ausdruck dieses Lebensgefühls. Selbst Gewalt konnte mit ironischer Gleichgültigkeit betrachtet werden, wenn man sie comichaft überdrehte. Es scheint, als pflege ­Tarantino diesen Geist noch immer, sensiblere Zeiten hin oder her. Er versteht sich als Mann mit der Vision eines Unangepassten. Jemand, der sein Ding macht. Der ein Independent-Ethos mit dem Budget von Blockbustern verbindet und große Stars um sich schart. Zugleich ist er umstritten. Eben, weil er auf der Leinwand so gerne das Blut spritzen lässt. Oder weil dort ständig das englische N-Wort fällt – eine Provokation, die nicht gut gealtert ist.

Der nächste Film ist der letzte

Interessanterweise ist der Film, der am stärksten aus diesem Schema bricht, vielleicht auch Tarantinos bester. „Jackie Brown“ (1997) erzählt die Geschichte einer Stewardess, die Waffengeld schmuggelt, dabei erwischt wird – und versucht, ihren Gangsterboss und die Polizei gleichermaßen aufs Kreuz zu legen. Es ist das einzige Mal, dass Tarantino eine Frau in den Mittelpunkt stellt und dabei ganz ohne brutale Überwältigungslogik auskommt. Denn trotz des rauen Themas ist der Film – im besten Sinne – geradezu romantisch, nähert sich seinen Figuren mit Humanismus. Und vereint dennoch das Beste aus dem Tarantino-Universum: den Style, die punktgenaue Musik, das Americana-Pathos und, ja, die Lässigkeit, die man so anderswo selten findet. Er bescherte auch Pam Grier, in den 1970er Jahren ein Star des Blaxploitation-Genres, ein wohlverdientes Comeback.

Die Stars Michael Keaton, Bridget Fonda, Samuel L. Jackson, Robert De Niro und Pam Grier posieren für die Kamera.
Michael Keaton, Bridget Fonda, Samuel L. Jackson, Robert De Niro und Pam Grier (v. l. n. r.) spielten in „Jackie Brown" (1997). ­

Das alles ist eine Weile her. Höchstens zehn Filme wolle er drehen, hat Quentin Tarantino immer wieder gesagt – neun sind bereits im Kasten. Vermutlich liegt es auch daran, dass er sich mit dem nächsten besonders viel Zeit lässt. Ein Projekt namens „The Movie Critic“ liegt auf Eis; stattdessen schreibt er Bücher und fürs Theater. Als entschlossener Gegner von Streamingdiensten hat er ein historisches Kino in Los Angeles gekauft. Dort führt er Werke aus seinem Privatarchiv vor, natürlich auf Film. Ob seine Vision der großen Kinoerfahrung bloß eine nostalgische Erinnerung ist? Gut möglich. Aber Tarantino hält daran fest. Wie an der Idee vom alten Hollywood, einem Ort, an dem Zelluloid-Träume wahr werden: „Ich werde wohl der Letzte sein, der dort das Licht ausmacht.“