Systematische Plünderung

Die Affäre um den Crash-Konzern Wirecard hat viele unrühmliche Rollen: Drahtzieher, Helfershelfer, willfährige Wächter. Zu Ende ist sie noch lange nicht.

Wirecard
Foto: Sean Gallup/Getty Images

Es klingt wie ein schlechtes Drehbuch, nicht mal das Genre ist klar: Wirtschaftskrimi oder Agententhriller, Slapstick oder Melodram? Der Wirecard-Skandal ist alles zugleich, nur ist der Bankrott des Dax-Konzerns keine Fiktion, sondern Realität. 24 Milliarden Börsenwert vernichtet, ein Topmanager auf der Flucht, ein anderer in U-Haft, Millionen geprellte Aktionäre und eine Bande Krimineller hat eine halbe Milliarde Euro beiseitegeschafft. Ein Blick auf vier in unterschiedlicher Weise Beteiligte des Skandals.

Wirecard – Die Milliarden-Lüge

Dokumentarfilm

Dienstag, 2.11. — 20.15 Uhr
bis 1.12. in der Mediathek

Jan Marsalek – flüchtiger Schattenmann

Als mutmaßlicher Oberschurke in dem Stück gilt Jan Marsalek. Der schneidige Wiener kommt mit 19 Jahren als Software-­Experte zu ­Wirecard, bricht den Kontakt zur Heimat komplett ab, sogar zur Mutter. Der spätere Chief Operating Officer schart eine schillernde Truppe von Geheimagenten und Geschäftemachern um sich. Ziel des Zirkels ist laut Insolvenz­verwalter die „systematische Plünderung“ von ­Wirecard. Der ARTE-Dokumentarfilm „­Wirecard – Die Milliarden-­Lüge“ zeigt, wie ­Marsalek & Co dazu in Asien ein gigantisches Scheingeschäft errichten – mit fingierten Umsätzen, gefälschten Verträgen, erfundenen Kontosalden und Darlehen an gute Freunde. Man schwelgt im Luxus, genießt den Rausch. Zum Verhängnis werden den Betrügern zwei Milliarden Euro Cash, die angeblich in Manila liegen, aber unauffindbar sind. Im Sommer 2020 bricht alles zusammen, auch ­Marsaleks Schattenreich. Wirecard geht als Verursacher des größten deutschen Finanzskandals in die Geschichte ein. Marsalek taucht ab mithilfe österreichischer Ex-Geheimdienstler. Heute wähnen ihn die einen beim russischen Geheimdienst in Moskau, die anderen in der Türkei, wo er an neuen „Geschäftsideen“ bastle.

Markus Braun – unwissender Allesbeherrscher

Und wer will von dem ganzen Zirkus, der sich als beispielloser, milliardenschwerer Bilanzbetrug entpuppt, nichts gewusst haben? ­Markus Braun, „Mr. Wirecard“ höchstpersönlich. Der Mann, der bereits 2002 CEO wird, als der Zahlungsabwickler nur ein paar Hand voll Mitarbeiter zählt. Der nicht nur Chef, sondern auch Großaktionär ist und dies die Welt gerne spüren lässt. Le roi, c’est moi. Alle Vorwürfe gegen ­Wirecard dementiert er zunächst, schreibt sie voller Entrüstung einer bösen angelsächsischen Verschwörung zu. Und die Welt glaubt seine Erfolgsstory „Made in Germany“ nur zu gerne. Braun, auch er Österreicher, pflegt sein Image als Nerd und philosophischer Denker, aber was ihn eigentlich umtreibt, ist der Aktienkurs. An dem hängt sein Wohl, sein Milliarden-­Vermögen, sein Status als Teil der feinen Wiener Gesellschaft. Den Erfolg genießt er mit Familie und Entourage in Luxusdomizilen in Wien, Kitzbühel und an der Côte d’Azur. Heute ist sein Vermögen, soweit bekannt, von der Staatsanwaltschaft arretiert. Seit Juli 2020 sitzt Braun als mutmaßlicher Kopf einer kriminellen Bande wegen Marktmanipulation und Untreue in Untersuchungshaft. Schwer vorstellbar, dass er von nichts wusste.

Felix Hufeld – Zahnloser Dschungeltiger

Die zuständigen Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young haben sich von den Wirecard-­Betrügern offenbar über Jahre mit gefälschten Unterlagen und wilden Storys hinters Licht führen lassen – und auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) versagt. Deren – mittlerweile geschasster – Chef ­Felix ­Hufeld übt sich in Selbstkritik: ­Wirecard sei eine „Schande“ und die Bafin nicht „effektiv“ genug gewesen. Tatsächlich hat die Anstalt mitgestrickt an der Wirecard-­Legende. Ihr Leerverkaufsverbot stellt den Konzern quasi unter staatlichen Schutz, ein einmaliger Vorgang. Vorwürfe zu Geldwäsche und Bilanzmanipulation bleiben im Behördendschungel hängen, stattdessen spekulieren Bafin-­Mitarbeiter eifrig auf die Aktie. ­Hufeld bleibt nur der Rücktritt, die Behörde wird aufgestockt und erhält mehr Kompetenzen.

Olaf Scholz – Reformer unter Druck

Ein ­Wirecard 2.0 soll es nicht geben. Der Mann hinter dem versprochenen Umbau ist Finanz­minister Olaf Scholz. Der SPD-Kanzler­kandidat erkennt schnell die Brisanz des Falls und fordert energische Reformen. Schließlich hätte der Skandal das Zeug, auch Minister zu stürzen. Die Spürhunde des Untersuchungsausschusses bringen allerhand Versäumnisse und Versagen zutage. Eine unanständige Nähe von Scholz zu ­Wirecard finden sie nicht. Andere spannte ­Wirecard durchaus für unrühmliche Lobbyarbeit ein, etwa Ex-Verteidigungsminister Karl-­Theodor zu ­Guttenberg (CSU), der es einfädelte, dass Kanzlerin ­Angela ­Merkel in China persönlich für ­Wirecard warb. Ein „ganz normaler Vorgang“, erklärt sie im Wirecard-­Ausschuss. Dessen Fazit lautet: Scholz tatenlos. Merkel naiv. Die Behörden blind. Deutschland blamiert.