Raubzug für Ressourcen

Ob China, die USA oder Saudi-Arabien: Staaten und Konzerne bringen sich in Stellung für eine Zukunft, in der Wasser und Nahrungsmittel knapp werden. Der US-amerikanische Reporter ­Nathan ­Halverson beschreibt, wie er ihre Geschäfte aufdeckte.

Ein toter Fisch liegt auf einem ausgetrockneten Seebett.
Ein toter Fisch liegt auf dem ausgetrockneten Seebett am von Dürre geplagten Lake Mead im US-Bundesstaat Nevada. Foto: Mario Tama/Getty Images

Vor zehn Jahren wäre mir nicht in den Sinn gekommen, dass einige der mächtigsten Nationen und einflussreichsten Konzerne der Welt still und leise daran arbeiten, sich die Kontrolle über riesige Vorräte an Nahrung und Wasser zu sichern. Damals hatte ich gerade eine Recherche über das organisierte Verbrechen in Macau, China, abgeschlossen, das sich zum größten globalen Glücksspielzentrum entwickelt hatte. Ich hatte dort sechs Wochen lang in einem Casino gelebt und war erst vor Kurzem in die USA zurückgekehrt, als man mich bat, mir den Kauf von Smithfield Foods durch ein chinesisches Unternehmen anzuschauen – ein US-amerikanischer Agrarkonzern, der zugleich der weltweit größte Schweinefleischproduzent ist. Ich stürzte mich in die Recherche und konnte schließlich zeigen: Die chinesische Regierung hatte geholfen, den Deal zu finanzieren – und so ein Viertel der Schweinebestände der USA zu kaufen. Das Ganze geschah im Rahmen eines nationalen Sicherheitsplans, der darauf abzielt, China ­Nahrungs- und Wasser­ressourcen im Ausland zu sichern. Da wurde mir klar: Ein groß angelegter Verteilungskampf um die Versorgung mit Nahrung und Wasser war in vollem Gange.

Angetrieben von dieser Erkenntnis grub ich weiter. Eine Geschichte führte zur nächsten. Ich reiste um die ganze Welt – von meinem Zuhause in San Francisco bis in das höchste Hochhaus Hongkongs, in die glühend heißen Wüsten des Nahen Ostens und der USA und weiter bis in die Regenwälder Afrikas und Mittelamerikas. Was ich herausfand, überraschte mich immer wieder. Die Welt läuft Gefahr, nicht mehr über genug Wasser zu verfügen, um eine wachsende Weltbevölkerung ausreichend mit Nahrung versorgen. Bereits im Jahr 2009 prognostizierte der damalige Chef­ökonom von ­Nestlé gegenüber Mitarbeitenden der US-amerikanischen Botschaft, dass ihr bis zum Jahr 2050 das Wasser ausgehen werde – mit „katastrophalen Folgen“. Manche Regionen würden sogar schon deutlich früher unter Wassermangel leiden. In einigen Gegenden ist das heute bereits der Fall.

Nahrung für alle? Der geheime Krieg um unsere Ressourcen

Dokumentarfilm

Dienstag, 26.8. — 20.15 Uhr
bis 23.11. auf arte.tv 

Ein Land rückte in meiner Recherche bereits früh in den Fokus: Saudi-Arabien. Ich stieß auf ein als vertraulich eingestuftes Dokument der US-Botschaft in Riad aus dem Jahr 2008. Es beschrieb, dass Saudi-­Arabien nicht mehr über ausreichend Wasser für seine Landwirtschaft verfüge und nicht in der Lage sei, genügend Nahrung für seine Bevölkerung zu produzieren. König Abdullah, Bruder des derzeitigen Herrschers ­Salman bin ­Abdulaziz Al Saud, wies die saudischen Unternehmen an, im Ausland nach Lebensmitteln zu suchen. Denn das Königreich war zutiefst besorgt über „soziale Unruhen, falls die Lebensmittelpreise zu stark steigen“, weil „Lebensmittelpreis-Inflation eine direkte Bedrohung für den Gesellschaftsvertrag zwischen dem Haus Saud und der Bevölkerung darstellen könnte“.

Also begann ich zu recherchieren, wo auf der Welt sich saudische Unternehmen Wasser- und Nahrungs­ressourcen sicherten. Von meinem Zuhause in San Francisco musste ich nicht weit fahren. In der Wüste von Arizona hatte das größte Molkereiunternehmen des Nahen Ostens, das von der saudischen Königsfamilie kontrolliert wird, das Recht erworben, auf einem rund 39 Quadratkilometer großen Grundstück zu wirtschaften. Es handelt sich um Wüstenland in Arizona ohne sichtbares Wasser: voller Saguaro-­Kakteen und staubiger Felsen. Kein Ort, an dem viele auf die Idee kommen würden, einen Bauernhof zu betreiben.

Doch unter dem ausgedörrten Boden Arizonas lag eine gewaltige Menge Wasser. Tatsächlich befinden sich 30 Prozent des Süßwassers der Erde unterirdisch in Aquiferen, also Gesteinskörpern, die sich eignen, Grundwasser weiterzuleiten und abzugeben. Nur 0,4 Prozent des weltweiten Süßwassers sind dagegen als Oberflächenwasser in Seen und Flüssen gespeichert. Die übrigen 69 Prozent sind in Form von ­Polar- und Gletscher­eis gebunden. Die saudischen Verantwortlichen kannten das Potenzial unterirdischen Wassers. In den 1990er Jahren war Saudi-Arabien der sechstgrößte Weizenexporteur der Welt. Das hatte es geschafft, indem das Land seine eigenen Aquifere anzapfte. Doch das landwirtschaftliche Wunder hielt nicht lange an. Nach wenigen Jahrzehnten waren die Grundwasserbestände erschöpft, da sie in der Wüste nicht durch Regen aufgefüllt werden. Einmal abgepumpt, sind sie unwiederbringlich verloren. Bereits Anfang der 2000er Jahre waren Wüstenquellen, die schon in der Bibel erwähnt wurden und seit mehr als 2.000 Jahren Wasser führten, zu schwachen Rinnsalen geworden und schließlich versiegt. Die unterirdischen Aquifere, die diese Quellen speisten, waren verschwunden – das Grundwasser war entnommen worden, um Felder zu bewässern, und in Form von Weizen außer Landes gelangt.

Schild, das vor niedrigem Wasserstand warnt.
Schilder warnen Bootsfahrer vor niedrigen Wasserständen. Foto: Justin Sullivan/Getty Images

Export von virtuellem Wasser

Diese Form des Wasserexports durch landwirtschaftliche Produkte wie Weizen ist ein Konzept, das Ökonomen als virtuelles Wasser bezeichnen. Etwa 70 Prozent des Wassers, das wir Menschen verbrauchen, fließt in die Produktion unserer Nahrung. Wenn einem Land das Wasser ausgeht, verliert es als Erstes die Fähigkeit, die Lebensmittel zu produzieren, die es braucht, um seine Bevölkerung zu ernähren. Wasserarme Länder wie Saudi-Arabien und China können dieses Defizit nicht durch den Import von Wasser für ihre eigenen Bauern ausgleichen – es gibt einfach nicht genug Tanker auf der Welt, und wirtschaftlich wäre es völlig untragbar. Stattdessen gehen sie in wasserreiche Regionen und nutzen das dortige Wasservorkommen, um Lebensmittel anzubauen. In Form von Heu, Mais, Soja oder gefrorenem Fleisch wird es dann nach Saudi-Arabien, China oder anderswohin exportiert.

Die Verknappung der Ressourcen bedeutet in den Augen der Mächtigen zweierlei: Für Investoren eröffnet sie die Möglichkeit, Profit zu machen, indem sie sich die Kontrolle über essenzielle und immer rarer werdende Nahrungsmittel sichern und sie an Länder und Menschen in Not verkaufen. Für Staats- und Regierungs-chefs bietet sich die Chance, ihre geopolitische Stärke auszubauen, indem sie andere Länder von sich und ihren Lebensmittelvorräten abhängig machen. Umgekehrt bedeutet das für Länder, die auf Lebensmittel-importe angewiesen sind, eine enorme Verwundbarkeit. Natürlich gibt es auch andere geopolitisch wichtige Rohstoffe – Seltene Erden für Elektronik, Lithium für Batterien und fossile Brennstoffe für Energie. Aber keiner dieser Rohstoffe kann ein Land so schnell in einen Bürgerkrieg stürzen wie Nahrungsmittelknappheit. Brotaufstände haben schon vor Jahrtausenden Herrscher gestürzt.

In der Wüste Arizonas baute das saudische Unternehmen große Mengen Luzerneheu an, das es nach Saudi-Arabien schickte, um damit seine Milchkühe zu füttern. Und wie im Nahen Osten versiegten allmählich auch die Aquifere, die es in Arizona anzapfte – den Menschen vor Ort ging das Grundwasser aus. Als ich 2015 erstmals über die saudische Farm berichtete, spielten Arizonas Spitzenbeamte die Bedenken herunter. Sie behaupteten, der Staat habe noch reichlich Wasser, und warfen mir vor, ich würde „Heu machen“ – eine amerikanische Redewendung für das Übertreiben eines Problems.

Ein Monokultur-Feld.
Künstliche Bewässerung verknappt in trockenen Wüstengegenden schnell die letzten Grundwasserreserven. Hier zu sehen: mehrere Hektar große Felder mit Luzernen im Butler Valley im US-Staat Arizona, die vor allem zur Futterproduktion für die Rinder- und Schweinezucht gebraucht werden. Foto: Caitlin O'Hara/Washington Post/Getty Images

Heute denkt niemand mehr, dass derartige Sorgen übertrieben sind. Die Verantwortlichen in Arizona haben zugegeben, dass sie ein ernsthaftes Problem haben. Denn der Staat hat nicht mehr genügend Wasser, um den gesetzlich vorgeschriebenen Wasservorrat zu decken.

Als unser Dokumentarfilm „Nahrung für alle?“, den ARTE im August zeigt und in dem es auch um die Saudis in Arizona geht, in US-Kinos Premiere feierte, veranstaltete Arizonas oberste Justizbeamtin, Attorney General Kris ­Mayes, eine Vorführung in der Hauptstadt Phoenix. Wenige Monate später reichte sie eine Klage gegen die saudische Farm ein. Der Vorwurf: Sie würde Aquifere leer pumpen und damit die lokale Bevölkerung schädigen, deren Häuser auf dieses Grundwasser angewiesen seien. Auch die Gouverneurin des Bundesstaats, ­Katie Hobbs, griff ein und beendete einige Abkommen, die es der saudischen Farm ermöglicht hatten, riesige Mengen an Grundwasser für den Heuanbau zu nutzen.

Und Arizona ist nicht das Ende der Geschichte, wie man in „Nahrung für alle?“ sieht. Die Tentakel des Problems reichen rund um den Globus. Der Film zeigt, wie ausgerechnet Russland US-amerikanische Cowboys importiert, um zur Agrarsupermacht zu werden. Ein anderes Land heuert Söldner an, um sich im Ausland Nahrung und Wasser zu sichern. Das sind nur wenige Beispiele. Denn die Entwicklung beschleunigt sich. Die Gefahr von großflächigen Konflikten um Ressourcen wächst.

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