Von der Schauspielerin Anna Magnani bekam Roberto Rossellini einmal einen Teller Spaghetti über den Anzug gekippt. Die beiden waren lange ein Paar gewesen, hatten zusammen das wegweisende Drama „Rom, offene Stadt“ (1945) gedreht. Dann aber begann der Regisseur am Set von „Stromboli“ (1950) eine Affäre mit Ingrid Bergman. Die Beziehung zu Magnani zerbrach, sie zahlte es ihm mit Pasta heim. Und Rossellini? Hielt das mit den Nudeln schlicht für eine gute Szene. „Am liebsten hätte er gleich mitgedreht“, so erinnerte sich Magnani später. „Er sah das Leben als Film.“ Vielleicht hätte er selbst es andersherum formuliert: Ihn interessierte das Leben in jeder Ausprägung. Und was ihn interessierte, war es wert, unmittelbar festgehalten zu werden.
Gemäß dieser Logik basierte Rossellinis Ruhm vor allem auf der Lebensnähe seiner frühen Werke. 1944 entstand „Rom, offene Stadt“ direkt nach dem Abzug der deutschen Truppen und auf den Straßen der Metropole. Der Film über Partisanen und normale Menschen, die den Besatzern trotzen, sah ganz anders aus als die steifen Kulissenfilme, die damals aus Hollywood kamen. Nämlich roh und manchmal brutal. Der Episodenfilm „Paisà“ (1946), der vom Vormarsch der Amerikaner in Italien erzählt, folgte dem gleichen Prinzip. Fast über Nacht etablierten diese Filme Rossellini als Vater des Neorealismus: eines rauen, ungeschönten Kinos, das das echte Leben zeigen sollte.
Dabei war der Sohn einer römischen Architektenfamilie zunächst eher als Playboy und Autorennfahrer bekannt. Er besuchte die Filmhochschule, die einer von Mussolinis Söhnen gegründet hatte, mit dem er befreundet war, und drehte ein paar Propagandafilme. Dass er und Zeitgenossen wie Luchino Visconti mit ihrer körnigen Ästhetik das Kino revolutionieren sollten, lag weniger an einem gemeinsamen Programm als an den Umständen. Schließlich mangelte es zum Ende des Krieges an allem, und wer überhaupt an Filmmaterial kam, drehte an echten Schauplätzen und bei natürlichem Licht. „Ein Neorealist war im Grunde jeder praktisch denkende Mensch, der arbeiten wollte“, so erklärte es der Regisseur Federico Fellini später.
Seine Wirkung verfehlte der unmittelbare Stil nicht. Ingrid Bergman, die unter anderem in „Casablanca“ (1942) gespielt hatte und bereits ihren ersten Oscar besaß, schrieb einen Brief: Sollte Rossellini je eine schwedische Schauspielerin brauchen, „die sehr gutes Englisch spricht, ihr Deutsch nicht vergessen hat, deren Französisch aber kaum zu verstehen ist und die auf Italienisch nur ti amo sagen kann“, sei sie an Bord. Wenig später begannen die Arbeiten an „Stromboli“. Dessen Leitprinzip lässt sich als emphatisches Ja zur Kargheit beschreiben. Bergman spielt Karin, eine junge Litauerin, die einem Fischer auf die italienische Vulkaninsel Stromboli folgt und von den Eilandbewohnern konsequent angeschwiegen wird. Belebt wird das Drama durch ein paar bombastische, quasi-dokumentarische Naturaufnahmen. Etwa von der Mattanza, dem traditionellen Thunfischfang; majestätisch und grausam zugleich. Dass zu Rossellinis Glück auch noch der Vulkan ausbrach und die Atmosphäre mystisch auflud, half nichts: Der Film floppte.
Das Kino für tot erklärt
Für weitaus größeres Aufsehen sorgte die Beziehung, die sich zwischen Regisseur und Hauptdarstellerin anbahnte. Dass Bergman für den verheirateten Rossellini Mann, Kind und Hollywood verließ, trug man ihr vor allem in den USA lange nach. Heute kümmert sich die gemeinsame Tochter Isabella Rossellini, selbst eine bekannte Schauspielerin, darum, das Werk des Vaters zu erhalten.
Für Roberto Rossellini war Realismus auch eine Frage der Moral. Stilisierung lehnte er ab. Häufig arbeitete er mit Laiendarstellern, Drehbücher waren bloß wenige Seiten lang. Der Rest entstand spontan, zum Leidwesen von Stars wie George Sanders, der in „Reise in Italien“ (1954) den zugeknöpften Ehemann von Ingrid Bergman spielte und mit dem unberechenbaren Vorgehen haderte. Doch Rossellini behielt lieber eine nicht perfekte Einstellung, als auf die Wahrhaftigkeit eines Moments zu verzichten. Für „Deutschland im Jahre Null“ (1948) hatte er in den Trümmern Berlins gedreht.
War es verletzter Stolz oder Überzeugung, als er das Kino schließlich Anfang der 1960er Jahre für tot erklärte? An das Renommee seiner frühen Werke hatte er da nicht mehr anknüpfen können. Stattdessen wandte sich Rossellini dem Fernsehen zu, für das er vom Eisenzeitalter bis zur Biografie Ludwigs XIV. allerlei Historisches verarbeitete. Ihm sei es immer darum gegangen, etwas Neues zu erforschen, sagte er in einem Interview. Wen kümmern da Verkaufszahlen? Ihn angeblich nicht. „Wenn ich nach 40 Jahren im Geschäft nicht wüsste, wie man einen erfolgreichen Film macht, wäre ich ein Vollidiot.“






