Die Jagd nach den DDR-Millionen

Das Rätsel um die „Rote Fini“: Wie ist Österreichs Salonkommunistin Rudolfine Steindling der dreiste Millionenbetrug mit DDR-Vermögen gelungen? ARTE rollt ihre Geschichte neu auf.

Wo sind die DDR-Millionen: DDR-Flagge
Illustration: Racide/iStock

Als die langjährige „Handlungsbevollmächtigte“ der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) am 27. Oktober 2012 im Alter von 78 Jahren in Tel Aviv verstarb, hatte ihre einst so schattige Geschäftswelt längst aufgehört, zu existieren. Das Geheimnis, das die österreichische Geschäftsfrau ­Rudolfine ­Steindling umgab, war damit nicht kleiner geworden – im Gegenteil. Wie hatte sie es zum Beispiel geschafft, in den Wirren der Deutschen Wiedervereinigung umgerechnet rund 130 Millionen Euro verschwinden zu lassen? Auf diese Frage gibt es auch ein Jahrzehnt nach ihrem Tod keine allumfassende Antwort, wie die ARTE-Dokumentation „Die Rote Fini“ im Juni zeigt.  

Rudolfine Steindling – auf dem glatten Wiener ­Finanz- und Politparkett der 1980er und 1990er Jahre hatte dieser Name einen besonderen Klang. „Fini“, wahlweise auch „Rote Fini“, wie sie von ihrer Entourage liebevoll gerufen wurde, hatte damals Zugang zu höchsten politischen Kreisen: Zu ihren Freunden zählte der sozialdemokratische Bundeskanzler Franz ­Vranitzky (1986 bis 1997) und der vormalige SPÖ-Finanzminister ­Hannes ­Androsch (1970 bis 1981) ebenso wie der FPÖ-Vizekanzler ­Norbert ­Steger (1983 bis 1987) und der Zweite Nationalratspräsident der ÖVP, Heinrich Neisser (1994 bis 1999). Außerdem unterhielt sie enge Kontakte zur Wirtschaftselite des Landes, darunter Bankdirektoren, Stahlbarone, Industriekapitäne. Eine Kommunistin unter Klassenfeinden? Im Österreich der 1980er und 1990er Jahre war das kein Widerspruch – wie es auch kein Widerspruch war, dass ­Steindling die Interessen der KPÖ vertrat, dazu aber stets Chanel-­Mode, edle Handtaschen und den Ehren-Berufstitel „Kommerzialrätin“ trug. Erst recht war es kein Widerspruch, dass Österreichs Kommunisten innenpolitisch zwar im Nirgendwo standen, wirtschaftlich aber eine Macht waren. Das K in KPÖ stand damals nachweislich auch für Kapitalismus, denn die KPÖ war mehr ein Konzern als eine politische Bewegung. 

Über Treuhänderinnen und Treuhänder – ­Rudolfine ­Steindling war eine von ihnen – kontrollierten die Kommunisten noch in den 1980er Jahren ein Netzwerk aus gut 100 Firmen im In- und Ausland. Dazu gehörten vorwiegend Handelsgesellschaften und Speditionen, die gegenüber westlichen Firmen bevorzugten Zugang zu den Märkten und Rohstoffen hinter dem Eisernen Vorhang erhalten hatten: Holz, Erz, Kohle, dazu Leder, Textilien, Maschinenteile. Mit der Turmöl-­Gruppe hatte die KPÖ – getarnt hinter Strohleuten – einen der größten Heizölhändler Österreichs an der Hand, mit dem Globus-Verlag ein eigenes Medienhaus, mit der Volksstimme ein eigenes Parteiorgan; das Verlags- und Druckereigebäude wiederum war Teil des umfangreichen KPÖ-Immobilienbesitzes.

Die Rote Fini: Die verschwundenen Millionen der DDR

Geschichtsdoku

Donnerstag, 1.6. — 20.15 Uhr
bis 30.6. in der Mediathek

RECHTLICHE AUSEINANDERSETZUNG

Steindling galt stets als „KPÖ-Treuhänderin“; tatsächlich arbeitete sie aber ab den 1970er Jahren auch für die DDR-Einheitspartei SED. 1973 übernahm sie im Alter von 38 Jahren die Geschäftsführung einer DDR-Handelsgesellschaft, deren Vermögen Jahrzehnte später Gegenstand erbitterter rechtlicher Auseinandersetzungen werden sollte: die Novum GmbH mit Sitz in Ostberlin, Gründungsjahr 1951. Die Novum GmbH war eine Schöpfung des SED-Ablegers „Zentrag“ gewesen; Steindling führte dort zunächst die Geschäfte, ab 1978 fungierte sie auch als Treuhänderin der Novum-Anteile, wenig später kam mit der Transcarbon eine zweite Ostberliner Außenhandelsgesellschaft hinzu. 

Auch im Politbüro des Zentralkomitees der SED standen „Fini“ alsbald viele Türen offen: Innerhalb weniger Jahre war es ihr gelungen, das Vertrauen von SED-Größen wie Alexander Schalck-Golodkowski, Günter Mittag oder Gerhard Beil zu erlangen. Dank Steindlings ausgesuchter Kontakte in den Westen sollte vor allem Novum zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor in der DDR aufsteigen. 1970 hatte Schalck-Golodkowski, ein Oberst der Staatssicherheit und stellvertretender Minister für Außenwirtschaft, das sogenannte Zwangsvertretersystem eingeführt – ein Devisenbeschaffungsmodell. Von da an konnten westliche Unternehmen in der DDR nur dann Geschäfte machen, wenn sie eine staatliche Handelsagentur zwischenschalteten. Zwangsvertreter wie Novum und Transcarbon kassierten bei ihren Westkunden nunmehr dicke Vermittlungsprovisionen, die wiederum dem von Schalck-­Golodkowski verwalteten Bereich „Kommerzielle Koordination“ zugutekamen. 

Auch bei Steindlings Gesellschaften blieb im Laufe der Jahre sehr viel Geld hängen: Zum Zeitpunkt der Deutschen Wiedervereinigung im Oktober 1990 hatten Novum und Transcarbon aus ihrer durchaus erfolgreichen Vermittlungstätigkeit eine Barschaft von (zu damaligen Kursen) umgerechnet rund 255 Millionen Euro angehäuft, verteilt auf Dutzende Bankkonten in Österreich und der Schweiz. Nachdem die damalige Treuhandanstalt die Kontrolle über die Berliner Firmen im Januar 1992 übernommen hatte, war zunächst kein Vermögen auffindbar, später konnte etwa die Hälfte sichergestellt werden. Doch umgerechnet rund 130 Millionen Euro fehlten – wo das Geld landete, das konnten auch jahrelange Ermittlungen und Zivilverfahren nicht klären. In den Verfahren hatten die KPÖ und ihre Treuhänderin hartnäckig wie letztlich erfolglos behauptet, Novum und Transcarbon seien stets Österreichs Kommunisten zuzurechnen gewesen. Es kam jedoch heraus, dass ­Steindling bereits ab dem Frühjahr 1991 mit Unterstützung ihrer Wiener Hausbank Länderbank eine Reihe undurchsichtiger Transaktionen zwischen österreichischen und Schweizer Bankkonten veranlasst und so bis Anfang 1992 Spuren verwischt hatte.

 

Rudolfine Steindling
Nach dem Mauerfall wird ­Rudolfine ­Steindling (u.) als Vermittlerin der DDR nicht mehr gebraucht. Unklar bleibt, wo die Millionen sind, die unter ihrer Verantwortung abhanden gekommen sind. APA/Contrast/picture alliance/picturedesk

Die deutschen Nachlassverwalter erstritten das verlorene Geld später bei der Länderbank-Nachfolgerin Bank Austria, wenngleich sich der Rechtsstreit über 25 Jahre hinzog. Erst 2017, fünf Jahre nach ­Steindlings Tod, fiel vor dem Bundesgerichtshof die letztgültige Entscheidung zugunsten Deutschlands. Rudolfine Steindling selbst leistete nie einen Beitrag zur Wahrheitsfindung. Es blieb bei Spekulationen. Ein Teil des Geldes könnte im Wirtschaftsapparat der KPÖ versickert sein, hieß es, ein anderer bei alten DDR-Seilschaften gelandet sein. Eine letztlich nicht ergiebige Spur führte zur Wiener Dependance der ungarischen Central Wechsel- und Creditbank, für die ­Steindling einst gearbeitet hatte – dort hatte sie auch ihren späteren Ehemann ­Adolf „Dolly“ ­Steindling kennengelernt, einen ungarischen Holocaust-Überlebenden und Résistance-Kämpfer. 

In den Jahren vor ihrem Tod hatte sie sich in ihrer Wahlheimat Israel einen Namen als Mäzenin gemacht. Sie spendete an die Holocaust-Gedenkstätte Yad ­Vashem und an Museen, sie finanzierte Sozial- und Bildungsprojekte, unterstützte Krankenhäuser und Hilfsorganisationen oder sponserte wissenschaftliche Projekte und Kulturbetriebe. 2005 schrieb die Austria Presseagentur unter Berufung auf Diplomaten, die „Rote Fini“ sei kein „unwesentlicher Faktor in den österreichisch-israelischen Beziehungen“ und verwies auf „einen Freundes- und Bekanntenkreis, der die Familie des ermordeten israelischen Ministerpräsidenten ­Yitzhak Rabin, den früheren Jerusalemer Bürgermeister Teddy Kollek, Ex-Premier ­Ehud ­Barak, Vizepremier Ehud Olmert und viele mehr einschließt“. 

Auch die „spendable Kommerzialrätin“ selbst kam in dem Agenturbericht zu Wort. Steindling ­erzählte von ihrem gesellschaftlichen Engagement in Israel, ihrer „Pensionsbeschäftigung“, wie sie es selbst ausdrückte: „Ich kenn’ halt viele Leut’. Ich war immer aktiv in der Wirtschaft, in der verstaatlichten Industrie.“ Und: „Ich tu ja nur Geld sammeln.“