Große Abneigung, etwas zu tun

Lässt sich an Thomas Mann noch Neues entdecken? Im Jahr seines 150. Geburtstags fällt das Augenmerk auf sein politisches Wirken – und den Dichter als Privatmann.

Schwarz-Weiß-Foto von Thoman Mann, der an einem Fensterrahmen lehnt.
Thomas Mann besaß stets den Willen zur Kunst. Er betrieb sie in den festen Bahnen eines bürgerlichen Lebens – ein Gegensatz, an dem er sich zeitlebens rieb. Foto: ETH-Bibliothek Zürich/Thomas Mann Archiv

Es ist das erstaunlichste Leben unseres Jahrhunderts, jenem Goethes vergleichbar“, schrieb 1953 eine Schweizer Zeitung über ­Thomas Mann. Der übertrug die Passage in sein Tagebuch und notierte: „Fiel mir auch schon auf.“ Es war ein Vergleich nach Manns Geschmack, denn mit niemandem maß er sich lieber als mit ­Johann ­Wolfgang von ­Goethe. Dementsprechend betrieb er viel Aufwand, um sein Image als Dichter und Monument zu pflegen. Der Wille zu Gravitas, der Hang zu ausholendem Stil und Schachtelsätzen – liegt er uns heute fern? Offenbar nicht, denn Manns Bücher werden noch immer weltweit gelesen, neu aufgelegt. Und es dürfte kein Zufall sein, dass sich plötzlich diverse zeitgenössische Autoren an Ideen aus seinem Roman „Der Zauberberg“ (1924) abarbeiten.

Der Verdacht liegt nah, dass es mit dem Gefühl zu tun haben könnte, eine bekannte Normalität gehe auf ihr Ende zu. Wie eben im „Zauberberg“, dieser Geschichte einer Welt am Abgrund (die dennoch oft sehr komisch ist). Der durchschnittliche Held Hans ­Castorp begibt sich darin in ein Sanatorium in den Alpen; er will ein paar Wochen bleiben, am Ende werden sieben Jahre daraus. Oft zitiert wird derzeit das Kapitel zur großen Gereiztheit, die irgendwann in die betuliche Atmosphäre der Bergklinik einbricht: „Eine allgemeine Neigung zu giftigem Wortwechsel, zum Wutausbruch, ja zum Handgemenge.“ Die Nerven liegen frei. Das dürfte vielen vertraut vorkommen, die sich in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf Social Media bewegen. Bei Mann flippen selbst unauffälligste Charaktere aus, weil ihnen der Tee zu kalt ist.

Thomas Mann, Jahrgang 1875 und Sohn einer angesehenen Lübecker Kaufmannsfamilie, hatte stets den Willen zur Kunst besessen. Er betrieb sie in den festen Bahnen eines bürgerlichen Lebens – ein Gegensatz, an dem er sich zeitlebens rieb. Das Dämonische und das Schöpferische seien verbunden, heißt es etwa in „Doktor Faustus“ (1947), der Geschichte eines Teufelspaktes. Bücher wie „Buddenbrooks. Verfall einer Familie“ (1901) und „Tod in Venedig“ (1912) handeln vom Niedergang, den man vielleicht Manns frühes Spezialgebiet nennen kann. Er war nicht nur ein Beobachter, der sein direktes Umfeld im Schreiben verarbeitete – oft mit ironischem Einschlag und selten zur Freude der Porträtierten. Er absorbierte auch kleinste gesellschaftliche Verschiebungen.

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