»Nicht automatisch gesund«

Vegetarische Ernährung liegt im Trend – über ihre gesundheitlichen Auswirkungen weiß die Wissen­schaft jedoch erstaunlich wenig. Ein Gespräch mit der Epidemiologin Cornelia Weikert.

Eine Illustration von einer Person, die mit den Beinen Gemüse und Früchte jongliert.
Essen hat kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung. So wurzelt der Vegetarismus in Religion, Ethik und Gesundheit. Foto: Bundesinstitut für Risikobewertung

Das Interesse an vegetarischer Ernährung wächst ungebrochen – dabei ist der Fleischverzicht, anders als viele glauben, keine Erfindung der Moderne. Schon im 6. Jahrhundert v. Chr. setzten sich etwa die Anhänger des indischen Jainismus und der griechische Philosoph Pythagoras für den Vegetarismus ein, wie die ARTE-­Dokumentation „Fleischlos glücklich – Die Geschichte der Vegetarier“ zeigt. In Deutschland leben laut Max Rubner-­Institut aktuell etwa vier Prozent der Bevölkerung vegetarisch, rund ein Prozent vegan. Als Beweggründe werden Tierwohl, Klimaschutz und die Hoffnung auf gesundheitliche Vorteile genannt. Verlässliche Daten zu den langfristigen Folgen fehlen jedoch bislang: Ältere Studien spiegeln heutige Ernährungsgewohnheiten nicht wider, zudem wurden Veganerinnen und Veganer nur selten einbezogen. Hier setzt die Coplant-Studie an – die bislang größte Untersuchung pflanzenbasierter Ernährung im deutschsprachigen Raum, geleitet von der Epidemiologin ­Cornelia ­Weikert am Bundesinstitut für Risiko­bewertung (BfR) mit Sitz in Berlin.

ARTE Magazin Frau Weikert, Ernährungstrends kommen und gehen – von Low Carb bis Paleo. Doch wie stark wirkt sich unsere Ernährung tatsächlich auf die Gesundheit aus?

Cornelia Weikert Die Ernährung gehört zu den wichtigsten Einflussfaktoren auf unsere Gesundheit. Hinter vielen Trends steht der Wunsch nach schnellen Ergebnissen. Entscheidend ist jedoch, dass Ernährung vor allem langfristig wirkt – etwa auf das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder bestimmte Krebsarten.

Fleischlos glücklich – Die Geschichte der Vegetarier

Dokumentarfilm

Samstag, 22.11. — 20.15 Uhr
bis 21.1.26 auf arte.tv 

ARTE Magazin Die Coplant-Studie mit rund 6.000 Teilnehmenden zwischen 18 und 69 Jahren ist auf mindestens 20 Jahre angelegt. Was hat Sie zu diesem großen Forschungsprojekt bewegt?

Cornelia Weikert Viele frühere Studien hatten vergleichsweise wenige Teilnehmende, liefen nur über kurze Zeiträume und stammen häufig noch aus den 1980er oder 1990er Jahren. Sie spiegeln deshalb weder heutige Ernährungsgewohnheiten wider noch berücksichtigen sie die große Bandbreite moderner pflanzenbasierter Alternativprodukte. Hinzu kommt: Die Ernährungsforschung ist kompliziert. Man muss sehr genau erfassen, was Menschen tatsächlich essen – und häufig zeigen sich gesundheitliche Effekte erst nach vielen Jahren. Die Coplant-Studie soll diese Lücken schließen. Sie untersucht, welche Lebensmittel und Nährstoffe Menschen je nach Ernährungsform zu sich nehmen und wie gut ihr Körper versorgt ist. Gleichzeitig ­werden Zusammenhänge zwischen Ernährung, Gesundheit und dem Auftreten chronischer Krankheiten analysiert. Darüber hinaus überprüft die Studie bereits bestehende Ernährungsempfehlungen und geht dabei auch der Frage nach, wie umweltfreundlich die verschiedenen Ernährungsformen sind.

ARTE Magazin Wie ist die Studie konkret aufgebaut?

Cornelia Weikert Wir begleiten Erwachsene, die sich seit mindestens einem Jahr vegan, vegetarisch, pescetarisch oder omnivor ernähren. Ihre Ernährung wird detailliert per App dokumentiert. Zusätzlich erfassen wir Biomarker in Blut, Urin und Stuhl sowie Werte zu Blutdruck, Handkraft, Körperzusammensetzung und Knochengesundheit. Auch Lebensstilfaktoren wie Schlaf, Alkoholkonsum und Bewegung sowie sozioökonomische Daten werden einbezogen.

ARTE Magazin Warum gelten die Erkenntnisse vieler älterer Studien zu fleischloser Ernährung als überholt?

Cornelia Weikert Frühere Untersuchungen betrachteten oft spezifische Vegetarier-Gruppen wie die US-amerikanischen Adventisten, deren asketische Lebensweise wenig mit der Durchschnittsbevölkerung gemein hat. Außerdem basierten die Studien meist auf einer Ernährung mit unverarbeiteten pflanzlichen Lebensmitteln. Heute ist das anders: Vegane Ersatzprodukte wie Gemüse-­Burger oder Milchalternativen, oft reich an Salz, Zucker und Fett, sind weit verbreitet und machen bei Veganerinnen und Veganern laut einer Studie bis zu 39 Prozent der Energiezufuhr aus.

ARTE Magazin Gibt es bereits Hypothesen, wo die größten Unterschiede zwischen den Ernährungsweisen liegen?

Cornelia Weikert Pflanzlich basierte Ernährung kann viele Vorteile haben: ein geringeres Risiko für Übergewicht und Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck oder Typ-2-Diabetes. Vegetarier und Veganer nehmen meist mehr Ballaststoffe und weniger Kalorien auf. Gleichzeitig müssen gerade bei veganer Ernährung mögliche Nährstoffmängel im Blick behalten werden – etwa bei Vitamin B12, Omega-3-Fettsäuren, Jod oder Kalzium, die auch die Knochengesundheit beeinflussen. Ein hoher Fleischkonsum wiederum, hierbei insbesondere verarbeitetes Fleisch wie Wurst, kann mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs verbunden sein. Wichtig ist aber: Auch fleischlose Ernährung ist nicht automatisch gesund – Stichwort „Pudding-Veganer“.

ARTE Magazin Gibt es die eine ideale Ernährungsweise, die für alle gilt?

Cornelia Weikert Nein. Mit jeder Ernährungsform kann man sich sowohl gesund als auch ungesund ernähren. Deshalb wollen wir neue, differenzierte Empfehlungen entwickeln.

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