Von wegen diebisch

Die Mär von der kleptomanischen Elster ist längst widerlegt. Die Vögel sind sozial intelligente Überlebenskünstler. Bei einigen Arten finden sich sogar edelste Wesenszüge.

Elster, Tier, Vogel
Die heimische Elster hat Verwandte in aller Welt. Foto: Jakub Mrocek Zoonar/picture alliance.

Die Elster war vor uns da. Schon vor Millionen von Jahren breitete sie sich über den Erdball aus, entwickelte immer mehr Unterarten. Den Menschen begleitete sie von Anbeginn – und kommt ihm immer näher. Weil natürliche Lebensräume schwinden, zieht es die Vögel als Kulturfolger in Siedlungsgebiete. Die Elstern, von denen es laut Monitoring des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten hierzulande zwischen 375.000 und 555.000 Brutpaare gibt, sind vermehrt in Parks, Gärten und Hinterhöfen heimisch. Dabei war und ist das Verhältnis von Mensch und Vogel nicht ungetrübt, wie die ARTE-Dokumentation ­„Elstern: Clevere Überflieger“ zeigt.

Elstern: Clevere Überflieger

Tierdoku

Freitag, 11.6. — 18.30 Uhr
bis 8.9. in der Mediathek

Mythen und Volksglaube
Böse Omen, Tod und Hexerei: Die zur Familie der Rabenvögel zählende Elster wurde in unseren Breiten über Jahrhunderte mit Unheil in Verbindung gebracht. Da war der Ruf, diebisch zu sein, nachgerade harmlos. Angeblich sollten Elstern glitzernde Gegenstände stehlen und horten. Eine Studie der University of Exeter widerlegte den Aberglauben vor einigen Jahren experimentell. Tatsächlich hielten die Probanden wildtiergerecht misstrauisch Distanz zu den dargebotenen Preziosen. Dass sie ansonsten beim Futter nicht wählerisch ist, verschafft der Elster – lateinisch: Pica – im Überlebenskampf einen Vorteil, aber auch die zweifelhafte Ehre, Namensgeberin einer seltenen Essstörung zu sein. Das Pica-Syndrom bezeichnet den zwanghaften Verzehr ungenießbarer Substanzen wie Seife, Stärke oder Haare. Weniger dramatisch verhält es sich mit dem Pikazismus: dem plötzlichen Heißhunger Schwangerer etwa auf Süßes oder Saures.

Elster, Vogel, Natur, Tier
Auf der Iberischen Halbinsel, aber auch in Ostasien lebt die Blauelster. Foto: Fernando Sanchez de Castro_Getty Images.

Dichtung und Wahrheit
Das symbolträchtige Schwarz und Weiß des Federkleids inspirierte vor 900 Jahren Dichter ­Wolfram von ­Eschenbach zum Elsterngleichnis in seinem höfischen Versroman ­„Parzival“. Von „Schande und Schmuck“ ist darin, neuhochdeutsch übersetzt, die Rede, „vom Himmel und von der Hölle“. Ein Mensch, der zugleich gut und schlecht ist, habe beides an sich – „wie Elsternfarben“ halt. Das Klischee aber, das am hartnäckigsten an dem Vogel klebt, stand 1817 Pate für ­Gioacchino ­Rossinis Oper „La ­gazza ­ladra“ – „Die diebische Elster“. Ein vermeintlich entwendeter Silberlöffel führt fast zu einer Hinrichtung, fände er sich nicht doch noch rechtzeitig im Nest wieder. Auch das geflügelte Wort, „geschwätzig wie eine Elster“ zu sein, schaffte es in die (Pop-)Kultur. Im Comic-­Klassiker „Asterix auf Korsika“ ergeht der Vorwurf eines Gastwirts aus dem römischen Massilia, dem heutigen Marseille, an die Adresse seiner Ehefrau.

Nachbarn und Störenfriede
Der keckernde Ruf der Elster, deren deutscher Name sich vermutlich von ihrer Schwanzform herleitet und auf „die Spitzige“ verweist, gilt nicht eben als Ohrschmeichler. Fühlt sich mancher hiesige Städter davon bereits gestört, droht Bewohnern anderer Weltregionen Ärgeres. In Australien attackieren Magpies, so der englische Name der Elster, häufig Radler und andere Menschen, die ihren Nistplätzen zu nahe kommen. Tatsächlich sind die schwarz-weißen ­Magpies aus Down Under nur entfernte Verwandte unserer Elstern. Ihren Namen verdanken sie der Optik. Auf Deutsch heißt die Art korrekt Flötenkrähenstar.

Die Elstern und wir
Als ungemein soziales Wesen gilt ein anderes Familienmitglied, die Blauelster. An der Universität Wien arbeitet Lisa Horn mit den Tieren. Im vergangenen Jahr veröffentlichte die vergleichende Verhaltensforscherin gemeinsam mit internationalen Partnern eine breit angelegte Studie zu Rabenvögeln, die speziell dieser Elsternart eine auch bei Menschen löbliche Eigenschaft bescheinigt: Großzügigkeit. Die Tiere ermöglichten Artgenossen Zugang zu Futter, auch wenn sie selbst nichts davon hatten. „Blauelstern ziehen ihre Jungen gemeinschaftlich auf. Und sie nisten nah beieinander“, erläutert Horn. Diese Nähe mache die Vögel toleranter und weniger aggressiv, „vor allem die Männchen“. Lebensumstände, die deutliche Parallelen zum Menschen und seiner Entwicklungsgeschichte aufweisen. Und das Resultat ist prosoziales Verhalten. Uneigennützigkeit. Für die Wissenschaftlerin ist die Erkenntnis solcher Zusammenhänge faszinierend wie eine Reise in einer Evolutionszeitmaschine. Die Elster war eben immer schon da.