»Wir liebten sie von Beginn an«

Fast wie im Märchen: Wie eine britische Baronin den Ausnahme­jazzer Thelonious Monk förderte. Sein Sohn erinnert sich.

Nach einem Live-Konzert in einem New Yorker Nachtclub steht ­Baroness „Nica“ 1964 neben Thelonious Monk an der Bar. Foto: Ben Martin/Time & Life Pictures/Getty Images

Die Geschichte von Baroness Pannonica de ­Koenigswarter (1913–1985), Spitzname: ­Nica, liest sich wie ein Märchen des 20. Jahrhunderts. Sie wurde in London in die Rothschild-Bankiersfamilie geboren. 1935 heiratete sie den französischen Diplomaten Baron ­Jules de ­Koenigswarter, mit dem sie fünf Kinder hatte. Im Zweiten Weltkrieg arbeitete sie für die Résistance in Frankreich und Nordafrika. Nach der Trennung von ihrem Mann zog sie 1951 nach New York. 

Jacques Goldsteins Dokumentation „­Thelonious Monk & ­Pannonica: Eine amerikanische Geschichte“, die ARTE im Mai zeigt, erzählt von ihrer engen Freundschaft mit dem Jazz-Pionier ­Thelonious Monk (1917–1982). Und davon, wie Nica zur bedeutendsten Mäzenatin des schwarzen Jazz in New York wurde und dabei alle Klassen- und Rassen­schranken ignorierte. Einer von Goldsteins Zeitzeugen ist Thelonious Monks Sohn T. S. Monk, selbst ein gefeierter Jazz-­Schlagzeuger. Im Interview mit dem ARTE Magazin erinnert er sich an eine Kindheit, die geprägt war von der Freundschaft seiner Eltern mit „The Baroness“. 

 

Thelonious Sphere „T. S.“ Monk Jr., Jazzmusiker und Komponist: Der gebürtige New Yorker trat schon als Jugendlicher in die Fußstapfen seines Vaters ­Thelonious Monk und war jahrelang mit ihm auf Tour. Seit den 1980ern spielt Monk Jr. neben Jazz auch R & B und Funk. Foto: Jean Francois Laberine

Thelonious Monk & Pannonica: Eine amerikanische Geschichte

Musikdoku

Sonntag, 1.5. — 23.00 Uhr  

bis 30.5. in der Mediathek

arte Magazin Mr. Monk, Sie berichten in „Thelonious Monk & ­Pannonica“ von Ihrer ersten Begegnung mit Baroness ­Pannonica ­de Koenigswarter, als sie mit ihrem Rolls-Royce vor ihrer Wohnung in der 63rd Street in Manhattan vorfuhr. Das muss ziemlich glamourös gewesen sein.

T. S. Monk Ich war damals sieben, acht Jahre alt und hatte keine Ahnung, wer sie war. Dass in dieser Nachbarschaft jemand einen Rolls-Royce fuhr, war schon sehr ungewöhnlich, dazu noch eine Frau, die selbst am Lenkrad saß und nicht herumchauffiert wurde. Im Umfeld meines Vaters gab es ziemlich viele Originale, und sie erschien mir wie ein weiteres Original. Nica war außerordentlich unabhängig. Vor allem aber hatte sie eine sehr positive Ausstrahlung, wir liebten sie von Beginn an. Meine Mutter, die sie bereits in einem der Jazz-Clubs kennengelernt hatte, mochte sie offensichtlich sehr.

arte Magazin Ihre Eltern kannten die Baroness da also schon eine Weile.

T. S. Monk Nica hatte die Aufnahme meines Vaters von seinem Stück „’Round Midnight“ gehört und wollte ihn danach unbedingt kennenlernen. Mein Vater war ein gut aussehender, sehr netter Mensch. Er war in einem religiösen Umfeld aufgewachsen, er fluchte nicht herum, wie viele Musiker es taten. Ich persönlich glaube, dass Nica die Einzigartigkeit meines Vaters erkannte und dass sie sich in ihn verliebte, als sie ihn zum ersten Mal traf. Sie zog meiner Meinung nach nur seinetwegen nach Amerika. Und sie hätte sehr viel Unordnung in unser Leben bringen können. Aber als sie sah, was für ein großartiger Vater und Ehemann er war, wie sehr er seine Familie liebte, entschied sie: Ich liebe diesen Mann, also werde ich nur mit ihm befreundet sein. Sie half meiner Mutter, die sich um meinen Vater und zwei Kinder kümmern musste, wo sie nur konnte. Nica und meine Mutter waren tatsächlich enge Freundinnen. Dass sie sich so großartig verhielt, werde ich ihr nie vergessen. 

 

1957 spielt der Jazz-Künstler in einem Aufnahmestudio Klavier, begleitet von dem Saxophonisten Gerry Mulligan. Foto: Bob Parent/Hulton Archive/Getty Images

arte Magazin Wussten Sie und Ihre Eltern etwas von dem Leben, das die Baroness geführt hatte, bevor sie nach New York zog?

T. S. MonkSie hat mir im Laufe der Zeit einiges erzählt, auch aus ihrer spektakulären Kindheit. Dass sie auf einem Landsitz mit 28 Bediensteten aufgewachsen war; dass ihr Vater, den sie vergötterte, sie nach einem seltenen Nachtfalter Pannonica benannt hatte. Als kleines Mädchen war sie mit ihrem Vater einmal im Tresorraum der Bank of England, und einer der Wächter sagte zu ihr: „Wenn du einen Goldbarren hochheben kannst, darfst du ihn mitnehmen!“ Das Gold war aber zu schwer. Sie war eine sehr gute Fahrerin, und als ich sie fragte, wo sie das gelernt habe, sagte sie: „Als Krankenwagenfahrerin im Zweiten Weltkrieg.“ Das klang alles wie ein Märchen. 

arte Magazin Haben Sie selbst viel Zeit mit ihr verbracht?

T. S. Monk Ja, sehr viel sogar. Von ihren zwei Söhnen und drei Töchtern kannte ich drei sehr gut: ihren ältesten Sohn ­Patrick, mit dem ich eine Leidenschaft für Fotografie teilte, und ihre Töchter Janka und Keri, die etwa in meinem Alter waren. Nica besaß diese zwei Siamesischen Katzen. Irgendwann schlich sich ein streunender Kater ein, danach füllte sich das Haus mit Kätzchen. Man konnte keinen Schrank, keine Schublade mehr öffnen, ohne dass einem ein Katzenbaby entgegensprang. Nica verlor den Überblick. Sie gab mir fünf Dollar, damit ich die Katzen für sie zählte. Es waren 301. Meine Schwester, ich und Nicas uraltes Kindermädchen, das sie auch mitgebracht hatte, verbrachten Stunden damit, Katzenfutterdosen zu öffnen. Wir feierten auch Weihnachten mit Nica, sie hatte einen gigantischen Weihnachtsbaum. Die Baroness nahm uns vorher mit zu FAO Schwarz, einem Spielzeugladen für die Reichen. Meine Schwester und ich waren die einzigen schwarzen Kinder im ganzen Gebäude. Wir durften uns aussuchen, was wir wollten.

 

Monk steigt in Nicas Bentley. Foto: Ben Martin/Time & Life Pictures/Getty Images

arte Magazin Wie spürbar war im Alltag der Status-Unterschied zwischen Nica und den afroamerikanischen Familien, mit denen sie befreundet war?

T. S. Monk Man muss zunächst mal verstehen, dass es für die meisten Menschen damals einfach völlig bizarr war, dass eine der reichsten weißen Frauen der Welt sich mit schwarzen Musikern abgab. Das FBI und die Drogenbehörde DEA hatten damals viele von diesen Musikern unter Beobachtung. Sie galten als staatsgefährdend. Der FBI-Chef J. ­Edgar ­Hoover fand es zum Beispiel inakzeptabel, dass eine schwarze Sängerin wie ­Billie ­Holiday einen Nerzmantel besaß. Meinen Vater hielt er für arrogant, und dass ein solches schwarzes Genie mit einer Baroness befreundet war, erschien völlig abwegig. ­Hoover versuchte sogar, Nica deportieren zu lassen. Aber das konnte er nicht, weil sie dafür einfach zu viel Geld und Einfluss besaß. Uns gegenüber hat sie allerdings nie betont, dass sie mehr Geld hatte als wir – dabei hatte sie mehr Geld als die ­Rockefellers und die ­Vanderbilts! Sie hat das nie verwendet, um sich von anderen abzuheben.

arte Magazin Aber sie nutzte dieses Geld, um zu helfen. Sie erwähnen zum Beispiel im Film, wie Sie mit ihr zu Pfandhäusern fuhren, um Instrumente auszulösen, die Musiker aus Geldmangel hatten versetzen müssen.

T. S. Monk Nicas Freundschaft mit meinem Vater oder ­Charlie ­Parker ist gut dokumentiert. Aber sie half buchstäblich Hunderten Musikern, jeden Tag. Wir sind oft herumgefahren, während mein Vater im Club spielte, haben Babynahrung für den einen gekauft und für den anderen die Miete bezahlt. Ich erinnere mich an einen Abend, an dem wir nach einem Auftritt meines Vaters mit dem Rolls-Royce zu unserem Freund Bud ­Powell fuhren. Er hatte Drogenprobleme und es ging ihm schlecht, er war bewusstlos. Mein Vater und ­Pannonica wuschen ihn und sie kaufte für ihn ein. Nica scheute sich nie davor, anzupacken. Dass ­Charlie ­Parker 1955 in ihrem New Yorker Apartment starb, hat ihr bei manchen den Ruf als eine Art „dämonischer Groupie“ eingetragen. In Wirklichkeit war es so, dass ­Parker sonst keine Freunde mehr hatte, die ihn aufgenommen hätten. ­Nica öffnete ihre Tür für ihn. Dass sie für seinen Tod verantwortlich gemacht wurde, war extrem unfair. ­Nica war einfach hilfsbereit und großzügig. Sie verfügte zum Beispiel, dass der große Jazzpianist ­Barry ­Harris auch nach ihrem Tod sein Leben lang in ihrem Haus in New Jersey wohnen durfte.

 

Monk lässt sich von Nica in ihrem Zimmer fotografieren. Foto: Collection de Koenigswarter

Nica half Hunderten Musikern, jeden Tag

T. S. Monk, Jazzmusiker

arte Magazin Ihr Vater widmete der Baroness ein Stück mit dem Titel „Pannonica“. Kann man etwas über sie als Mensch erfahren, wenn man es hört? 

T. S. Monk Ich habe meinen Vater mal gefragt, was das Wichtigste in der Musik ist, und er antwortete: die Melodie. „­Pannonica“ sagt deshalb tatsächlich etwas über die Person aus, für und über die es geschrieben wurde, denn es ist eine außerordentlich elegante Melodie. Sie reflektiert ganz direkt die Eleganz, die Nica ausstrahlte, mit ihrem Pelzmantel und ihrer langen Zigarettenspitze und ihren hochhackigen Schuhen. Sie war die größte Wohltäterin in der Geschichte des Jazz. Vor allem aber war sie ein guter Mensch.