Eigentlich sitzt die transsexuelle Leni gerade wegen Drogenhandels im Männerknast. Doch zusammen mit dem verdeckten Ermittler Robert soll sie in einer vorgetäuschten Beziehung das Vertrauen von Großdealer Victor gewinnen, der mutmaßlich eine Dark-Web-Handelsplattform für Drogen betreibt. Die versprochene Entlohnung: vorzeitige Entlassung. Wäre da nicht das toxische Gefühlschaos, in das der schwule Robert und Leni geraten, die vor der Haft ein Liebespaar waren – als Leni für den verdächtigten DJ und Nachtclubbesitzer Victor als Tontechniker arbeitete und noch Lennart hieß.
Für ihr Kinodebüt als Leni in Christoph Hochhäuslers Thriller „Bis ans Ende der Nacht“ (2023) wurde die österreichische Schauspielerin Thea Ehre bei der Berlinale 2023 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Regisseur Hochhäusler, der zur Mitte der 1990er entstandenen Berliner Schule gezählt wird, versucht erst gar nicht, schlichte Antworten auf komplexe Fragen zu geben. Stattdessen vermischt er Genre- und Autorenkino in einer nostalgischen, urban-romantischen Atmosphäre, die an die Filme von Rainer Werner Fassbinder und in seiner Ausstattung an das Kino der 1970er Jahre erinnert – auch die Clubszenen sind mit Songs von Hildegard Knef und Zarah Leander unterlegt. Dabei kommt der Film mit seinen Nachtschwärmern und Schattenexistenzen ganz ohne prominente Besetzung aus.
Auch auf Lenis Willkommensparty, als sie im Zuge der verdeckten Ermittlung ihren neuen Fake-Freund Robert vorstellt und im Hintergrund das Lied „Schönes Mädchen“ des israelischen Duos Esther & Abi Ofarim läuft, liegt ein dunkler Schleier über den Bildern des Neo Noirs. Bei der aufgetischten Kennenlerngeschichte hapert es noch etwas: War es Hamburg oder Hannover, wo sich die beiden trafen? Anlass genug für Robert, seiner Abneigung gegenüber Leni freien Lauf zu lassen, sobald die Gäste aus der Tür sind. „Siehst du irgendwo Publikum?“, raunt er ihren Annäherungsversuchen entgegen. Bis ihm später sein eigenes Begehren entgleitet. Keine gute Basis für eine erfolgreiche Ermittlung im Frankfurter Drogenmilieu: Die Verstrickung aus ungelösten Konflikten und Gefühlen wider Willen droht die Mission zu gefährden. Bei einem Tanzkurs gelingt es dem vermeintlichen Paar dennoch, sich Victor und seiner Partnerin anzunähern.
In seiner Zerrissenheit zwischen Liebe und internalisierter Transfeindlichkeit überschreitet Robert bei Leni schließlich auch körperliche Grenzen und missbraucht ihr Vertrauen. Sie muss feststellen, dass er sie nicht akzeptieren kann, wie sie ist. Ausgerechnet der ausspionierte Victor erkennt: „Der ganze Scheiß entsteht doch, weil die Leute Namen brauchen: Ich bin 100 Prozent dieses oder 100 Prozent das.“ Dem gegenüber steht mit der von Thea Ehre verkörperten Leni eine starke Transfrau, die als Grenzgängerin nicht nur das Männergefängnis hinter sich lässt, sondern auch eine Identität, die ihr nicht entspricht.
Dass die 24-jährige Quereinsteigerin Thea Ehre nach ihrer Auszeichnung für die beste Nebenrolle zur Transaktivistin erkoren wurde, überraschte die aus Wels stammende Schauspielerin: „Es war ein großer Schritt in eine offenere Welt, als erste Transfrau den Silbernen Bären zu bekommen“, sagt sie im Gespräch mit dem ARTE Magazin. „Als Mitglied einer Minderheit wird man in der Öffentlichkeit schnell zur Aktivistin auserkoren. Wenn ich eine Vorbildwirkung habe, freut mich das. Ich bin aber in erster Linie Schauspielerin.“ Die Filmbranche bewies zuletzt mehr Sensibilität gegenüber Transpersonen: Seit 2021 vergibt etwa die Berlinale ihre Preise nicht mehr in den Kategorien „Beste Schauspielerin“ und „Bester Schauspieler“, sondern für die „Beste schauspielerische Leistung“.
NEUER SHOOTINGSTAR
Thea Ehre, die es in die Vorauswahl am Max -Reinhard Seminar in Wien schaffte, aber nicht angenommen wurde, wird von den Medien unterdessen als neuer Shootingstar gehandelt. Neben dem Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften stand die queere Newcomerin 2019 für die Fernsehserie „Vorstadtweiber“ zum ersten Mal vor der Kamera. Für das Porn Film Festival Vienna war sie an der freizügigen Performance „Fugue Four: Response“ beteiligt – ein Projekt über den Einfluss von Mainstream-Pornografie auf die eigene Sexualität. 2023 folgte die Krimiserie „Luden – Könige der Reeperbahn“, die im Hamburger Stadtteil St. Pauli in den 1980er Jahren angesiedelt ist. Auf der Viennale saß sie bereits in der Jury des Wiener Filmpreises.
Stereotypen versuche sie auszuweichen. Ihre Transidentität müsse nicht immer im Mittelpunkt stehen: „Ich würde mich freuen, wenn das zentrale Thema einer Figur nicht immer nur die Transition ist.“ Über ihre eigene Transition sagt Thea Ehre, die sich 2021 im SZ-Magazin mit 184 anderen LGBTQ-Schauspielerinnen und Schauspielern noch unter dem Namen Thea David Ehrensperger outete: „Ich wurde nie als Junge wahrgenommen. Mir war immer klar, dass ich ein Mädchen bin. Ich bin Schauspielerin – dass ich trans bin, ist einfach so.“