»Kunst soll irritieren«

Was, wenn eine Gruppe von Menschen an etwas glaubt, das die Mehrheit für falsch hält? Das satirische Drama „Club ­Zero“ verweigert bewusst die Antwort.

Filmszene: Jugendliche in gelber Uniform und eine Frau in roter Kleidung stehen im Kreis und reichen sich die Hände
Miss Novak (Mia Wasikowska), die neue Lehrerin eines Eliteinternats, soll ihren Schützlingen bewusste Ernährung näherbringen. Doch unter ihrem Einfluss radikalisieren sich die Schüler so weit, dass sie in einer Nulldiät die Lösung für ein Bündel von Problemen zu erkennen glauben. Erst als die Jugendlichen gesundheitliche Probleme bekommen, werden die Eltern wach. Satirisches Drama über Manipulation und die Kraft des Glaubens. Was als harmloser Stuhlkreis anfängt, nutzt die Lehrerin Miss Novak (Mia Wasikowska, links) für eine gesundheitsgefährdende Ideologie. Foto: COOP99 COPRODUCTION OFFICE / ARTE F

Die österreichische Regisseurin ­Jessica ­Hausner ist bekannt für die artifizielle Ästhetik und dramaturgische Eigenwilligkeit ihrer Filme. Bereits zwei Mal war die Filmemacherin und Drehbuchautorin mit ihren Werken beim Festival in Cannes verteten: 2019 mit dem Science-­Fiction-­Thriller „­Little Joe: Glück ist ein Geschäft“ über eine genmanipulierte Blume, die die Menschen glücklicher machen soll. Und 2023 mit dem Drama „Club Zero“, in dem sie die Grenzen zwischen der Realität und den geschlossenen Gedanken-­Konstrukten einer sektiererischen Gruppe auslotet. Ein Gespräch über die Aufgabe von Kunst und die Lust an absurdem Humor.

ARTE Magazin In „Club Zero“ kommt eine Lehrerin neu an eine teure Privatschule und bringt eine Gruppe Jugendlicher dazu, die Nahrungsaufnahme zu verweigern. Was motiviert die Frau?

Jessica Hausner Es hat einen Grund, warum das nicht weiter auserzählt wird. 90 Prozent aller Filme bemühen sich, ihre Figuren möglichst nachvollziehbar zu gestalten und psychologisch zu erklären. Sie gehen davon aus, dass das, was jemand empfindet, auch bestimmt, was er oder sie tut. Ich dagegen schaue auf die Oberfläche, ohne gleich eine Erklärung mitzuliefern.

ARTE Magazin Warum?

Jessica Hausner Für mich ist das ein Zugang, der anerkennt, dass man in eine Person schwer hineinschauen kann. Ich finde, dass es in Wahrheit doch der psychologische Realismus ist, der irreführend ist. Denn in der Realität ist es eigentlich meistens nicht möglich, die Motive einer anderen Person zu durchschauen. Mit meinen Filmen wehre ich mich gegen diese Vereinfachung der menschlichen Psyche.

 

Club Zero

Drama

Mittwoch, 21.5.
— 20.15 Uhr
bis 19.6. in der
Mediathek

Eine Frau geht an einer Glasfront entlang und spiegelt sich
Schulleiterin Miss ­Dorset (Sidse ­Babett ­Knudsen) kommt an ihre Grenzen. Foto: COOP99 COPRODUCTION OFFICE / ARTE F

ARTE Magazin Worum geht es Ihnen dann?

Jessica Hausner Ich versuche, meine Figuren wie Archetypen zu gestalten. Ich möchte etwas allgemein Menschliches erzählen, auch wenn ich natürlich nicht für alle Menschen sprechen kann. Meine Filme spielen in einer industrialisierten, reichen, westlichen Welt – das ist die Welt, die ich kenne. Innerhalb dieser Grenzen erzähle ich Parabeln.

ARTE Magazin Der Film arbeitet teils mit drastischer Überspitzung. Welche Funktion hat Humor für Sie?

Jessica Hausner Ich denke, die Absurdität entsteht dadurch, dass ich zeige, dass das, was man als sinnvoll und wichtig erachtet, im Leben aus einer anderen Perspektive lächerlich wirken kann. Es geht in meinen Filmen immer wieder darum, dass Menschen etwas glauben, was für andere komplett falsch ist. Daraus ergibt sich die Frage: Wer hat recht?

ARTE Magazin Aber eine Antwort auf diese Frage geben Sie nicht.

Jessica Hausner Ich glaube, das Irritierende ist, dass mein Film weder für noch gegen die Jugendlichen ­Partei ergreift. Meiner Meinung nach ist das ein Kennzeichen von Kunst: Sie soll irritieren. Wieso hören Menschen auf zu essen, obwohl sie wissen, dass sie dann verhungern werden? Wir sind es gewohnt, dass wir in Filmen einen moralischen Kompass mitgeliefert bekommen. Aber die Wirklichkeit ist ohne Moral, und ich wüsste nicht, warum ich die Sehnsucht, alles eingeordnet und erklärt zu bekommen, bedienen sollte.

ARTE Magazin Sollte Kunst Ihrer Ansicht nach keine Stellung beziehen, auch keine politische?

Jessica Hausner Doch, ich würde sogar sagen, dass meine Filme eine klare politische Haltung haben, weil sie sich dem Mainstream versperren. Sie weigern sich, das zu bestätigen, was alle hören wollen: dass wir die Guten und die anderen die Bösen oder Dummen sind.

ARTE Magazin In „Club Zero“ ist es die Lehrerin, die manipuliert. In „Little Joe“, den ARTE ebenfalls im Mai zeigt, eine gentechnisch veränderte Pflanze, die die Stimmung beeinflussen soll. Eine Parallele?

Jessica Hausner In „Little Joe“ versucht eine Wissenschaftlerin herauszufinden, was für ein Wesen sie gezüchtet hat, aber das Wesen entzieht sich ihrer Analyse. Was beide Filme vereint, ist das Gedankengebäude, das sich die Figuren in ihren Köpfen zusammenbauen und das für sie realer ist als die Wirklichkeit um sie herum.

ARTE Magazin Tatsächlich bleibt unklar, ob die neue Züchtung wirklich eine Wirkung auf Menschen hat.

Jessica Hausner Genau. Vielleicht bildet sich die Hauptfigur das auch nur ein, denn eigentlich ist weiter nichts passiert, als dass ihr Sohn erwachsen geworden ist und sie weniger braucht.

ARTE Magazin Im Film geht es um ein möglicherweise mutiertes Virus, das einen pathogenen Effekt auf
Menschen hat. Premiere war im Mai 2019, ein Drei­viertel­jahr vor der Pandemie …

Jessica Hausner Diese Koinzidenz hat mich auch überrascht. Es ging dann auch schnell die Diskussion los, ob beispielsweise Impfen gut oder schlecht ist. Durch Corona hat sich bei einigen Menschen eine gewisse Radikalisierung vollzogen. Sie haben felsenfest an etwas geglaubt und die Wissenschaft massiv infrage gestellt. Plötzlich war die Sicherheit, in der wir glaubten zu leben, verschwunden. In dieser Zeit hat sich auch mein Konzept für „Club Zero“ geformt.

 

Zur Person
Jessica Hausner, Regisseurin
Die Österreicherin gehört zu den profiliertesten Filmemacherinnen des Gegenwartskinos. Sie ist Professorin an der Filmakademie Wien sowie Mitglied der Oscar-Academy.

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