Immer locker

Rap-Helden Die Fantastischen Vier machten Hip-Hop in Deutschland populär. Ein ganz persönlicher Rückblick auf ihre Band-Karriere.

Die ewigen Vier: Michi Beck, And.Y, Thomas D und Smudo (v. l.) schrieben als deutschsprachige Hip-Hop-Wegbereiter Musikgeschichte – und schufen jede Menge Hits. Foto: Olaf Heine/Contour by Getty Images
Die ewigen Vier: Michi Beck, And.Y, Thomas D und Smudo (v. l.) schrieben als deutschsprachige Hip-Hop-Wegbereiter Musikgeschichte – und schufen jede Menge Hits. Foto: Olaf Heine/Contour by Getty Images

Wir hatten Sportunterricht, mein Lieblingsspiel Völkerball war gerade durch, als ich vor lauter Freude anfing, komische Töne von mir zu geben. Pfeifen konnte ich nicht, aber „Düd, düd, düd, düddüd-düd-düddüd-düd“, das ging. Plötzlich sprudelten auch Reime aus mir heraus: „Äh, Moment, was geht? Ich sag’s dir ganz konkret. Am Wochenende hab ich mir den Kopf verdreht.“ Dazu zackige Verrenkungen zu imaginären Beats, und meine Klassenkameraden dachten endgültig: Der spinnt. Dabei war ich nicht weniger als der winzige Teil einer Schulhofrevolution. Denn Hip-Hop war angekommen. Zwar nicht formgleich mit dem, was die Archetypen aus den USA seit den 1970ern vorgegeben hatten. Aber mit „Die da“, der an Dadaismus grenzenden Abrechnung mit einer Ménage-à-trois, hatte es 1992 erstmals echter, mit Beats und Samples unterlegter deutscher Rap an die Spitze der Charts geschafft. Und bis in meine Grundschule. Die Urheber: das nach Marvels Superhelden benannte Stuttgarter Rap-Quartett Die Fantastischen Vier, kurz: Fanta 4.

Die Sendung auf Arte

Das Porträt „Wer 4 sind: 30 Jahre Die Fantastischen Vier“ gibt es am Freitag 13.12.2019 um 21:45 Uhr bei ARTE und bis 19.12.2019 in der Mediathek.

Während sich in Frankfurt und im fernen Berlin mit Techno ein weiterer Neuling in der Popkultur breit machte, blieb für mich in der bayerischen Provinz die Hip-Hop-Kultur fortan das Maß aller Dinge. Die Hosen wurden weiter, die Reime heftiger. Dann kam „Lauschgift“ (1995), das vierte Studioalbum der Fanta 4. Mein Soundtrack zur Pubertät. Die Texte waren zugleich Selbstfindungshilfe („Du bist, wie du bist“), Konsumorientierung („Ich sollt’ mir diese Riesentüte anschaun“), Liebeskummerstütze („Ja Mann, irgendwie hast du ja recht. Und trotzdem geht’s mir schlecht. Echt beschissen.“) und moralischer Kompass („Ich bin wie die anderen, wie ihr“). Und dabei, sehr angenehm für meine Eltern: so was von harmlos. Anders als heutige Schulhof-Idole rappten Michael „Michi“ Beck, Thomas „D“ Dürr und Michael „Smudo“ Schmidt nicht diffamierend und mit Vulgärwörtern gespickt zu den Beats von Andreas „And.Ypsilon“ Rieke. Die vier Musiker näherten sich der Welt über das Sprachrepertoire von bürgerlichen Normalos, wie sie im „Lauschgift“-Song „Die Geschichte des O“ selbst reflektieren („Weiße Mittelstands-Kids aus dem Ghetto? Was ein Witz!“). Stuttgart eben.

Weiße Mittelstands-Kids aus dem Ghetto? Was ein Witz!

Die Fantastischen Vier in "Die Geschichte des O"

Schweiß, ohne Ende Schweiß

Die im selben Jahr stattfindende Tour zum Knülleralbum brachte mir ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk ein. Zum ersten Mal durfte ich, kurz vor den Feiertagen, ohne Eltern und nur mit meinem großen Bruder und dessen Homies auf ein Live-Konzert. Wie diese fantastisch auftretenden „Schwaben with Attitude“ (laut.de) damals aussahen, weiß ich nicht mehr genau. Im Gedächtnis hängen blieb: Schweiß, ohne Ende Schweiß. Dicht an dicht stand ich neben viel größeren Fans und machte, was alle machten: springen, bis sich die Beine anfühlten wie Watte. Und jede Zeile mitreimen. Die vier chronisch gut gelaunten Dauer-Grinsebacken auf der Bühne sprangen und schwitzen selbst viel und zündeten dabei in mir eine gewaltige Serotoninbombe – mit Folgen. Ab jetzt wollte ich diese Konzerteuphorie so oft wie möglich spüren. Immer und immer wieder. Unausgeschlafen, aber aufgeputscht wie auf Amphetamin, kam ich am Tag nach dem Auftritt in die Schule und ließ alle wissen: Diese Crew ist echt „zu geil für diese Welt“.

Knapp 25 Jahre später feiern die Die Fantastischen Vier ihr 30. Bandjubiläum. Auf dem aktuellen Album lassen sie sich von Clueso, dem Traumschwiegersohn des Deutschpop, als Stargast unterstützen. Dazu beleuchtet eine Backstage-Dokumentation, mit ordentlich Selbstironie gepfeffert, das schwere Schicksal von alternden Langzeitrappern. Und natürlich gibt es eine Tour durch große Hallen und Stadien, Eintrittskarten dafür kann man exklusiv beim größten Discounter des Landes erwerben. Hip-Hop-Tickets neben Billigkonserven? Cool geht anders. Was den Fantastischen Vier aber egal ist. „Die da“ war auch nie wirklich cool – und trotzdem genial. Die Fanta 4 sind heute eben das, was Herbert Grönemeyer und Marius Müller-Westernhagen für die Generation vor mir waren. Gefühlt schon immer da. Und selbst, wenn man sich an ihnen abgehört hat und die alte Liebe eingerostet ist – man wünscht sie sich als ewige Freunde.