Extreme Zölle, ein Migrationsstopp, Deportationen: Setzt US-Präsident Donald Trump seine radikalen Wahlversprechen um, wird das drastische Folgen für Zentral- und Südamerika haben. Die Mehrheit der Menschen, die er abschieben will, stammt von dort. Für viele Länder sind die USA – neben China – zudem der wichtigste Handelspartner. Das ARTE Magazin spricht mit dem Politologen Peter Birle über die Unsicherheit, die Trump verbreitet – und über die Trümpfe, die die regierenden Politiker Lateinamerikas in der Hand haben.
ARTE Magazin Auf die Frage eines brasilianischen Journalisten, wie Trump die Beziehungen der USA zu Lateinamerika einschätze, sagte der bei seiner Amtseinführung: „Großartig. Sie brauchen uns viel mehr, als wir sie brauchen!“ Wie kommt diese Attitüde in Lateinamerika an?
Peter Birle Die Arroganz, die Trump ausstrahlt, wird natürlich auch in Lateinamerika registriert. Nichtsdestotrotz versuchen alle Länder, sich mit ihm zu arrangieren. Das gilt nicht nur für den argentinischen Präsidenten Javier Milei oder Nayib Bukele aus El Salvador, die sich als Trump-Freunde verstehen. Auch linksgerichtete Regierungen wie in Mexiko und Brasilien versuchen, ruhig Blut zu bewahren und die Beziehungen zu stabilisieren.
ARTE Magazin Mexiko ist als direkter Nachbar und Freihandelspartner besonders betroffen. Wie geht Präsidentin Claudia Sheinbaum mit der Situation um?
Peter Birle Sheinbaum versteht es recht gut, mit Trump zu verhandeln. Einerseits demonstriert sie nationale Souveränität – etwa als Trump drohte, militärisch gegen Drogenkartelle in Mexiko vorzugehen. Andererseits zeigt sie sich kooperativ: Noch vor Trumps Amtseintritt haben mexikanische Behörden eine Tonne Fentanyl beschlagnahmt. Sheinbaum greift immer wieder zum Hörer und spricht mit Trump. Dabei trifft sie offenbar den richtigen Ton: Die angekündigten 25-Prozent-Zölle auf Importe wurden vorerst von Trump ausgesetzt.
ARTE Magazin Für die meisten Länder hat Trump Zölle von zehn Prozent durchgesetzt. Wie verkraften das die Volkswirtschaften Lateinamerikas?
Peter Birle Die Zölle treffen die Länder. Es herrscht eine große Unsicherheit, denn niemand weiß, was morgen passiert. Lateinamerika hat allerdings einen Vorteil: Der Anteil des Außenhandels am Bruttoinlandsprodukt ist dort insgesamt geringer als etwa in der EU. Im globalen Vergleich ist die Baseline von zehn Prozent außerdem recht glimpflich ausgefallen. Das liegt nicht etwa daran, dass Trump ein großer Lateinamerika-Freund wäre. Es gibt schlicht keine explizite Lateinamerika-Politik, vielmehr herrschte in den vergangenen Jahren eine Ignoranz gegenüber Südamerika.
ARTE Magazin Diese Gelegenheit hat China für sich genutzt …
Peter Birle China ist mittlerweile nicht nur der wichtigste Handelspartner für viele südamerikanische Länder, sondern hat auch in Häfen und digitale Infrastrukturen investiert. Den USA ist das seit Jahren ein Dorn im Auge. Jetzt wird „Push-back“-Politik gemacht, um den Einfluss der Volksrepublik einzudämmen. Das gelingt nicht immer: Brasilien hat dem chinesischen Konzern Huawei trotz massiven Drucks aus den USA die Konzessionen für den Ausbau des 5G-Netzes erteilt.
ARTE Magazin Läuft Trump mit seinen Drohungen Gefahr, bestimmte Länder weiter in die Arme Chinas zu treiben?
Peter Birle Für Brasilien, das seinen Handel zu gleichen Teilen mit Asien, Europa und den USA betreibt, trifft das durchaus zu. Als Gründungsmitglied des BRICS-Bündnisses (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika und vier weitere; Anm. der Redaktion) ist das Land sich seines Sonderstatus sehr bewusst. Je mehr Trump den Druck erhöht, desto mehr wird er Brasilien in die Zusammenarbeit mit China treiben.
ARTE MagazinWelche Folgen hat die verschärfte Migrationspolitik bislang?
Peter Birle Der Ausbau der Grenzanlagen und der Einsatz von Militär hat eine stark abschreckende Wirkung: Die Zahl der Menschen, die illegal in die USA einreisen, ging bereits 2024 unter Joe Biden zurück und ist heute so niedrig wie seit Jahren nicht. Trump setzt auch hier auf Abschreckung und setzt für Abschiebungen Militärflugzeuge ein. Einzig der kolumbianische Präsident Gustavo Petro hat versucht, Trump Kontra zu geben: Mit der Begründung, dass diese Form der Abschiebung inhuman sei, verweigerte er einem US-Militärflugzeug die Landung. Trump reagierte sofort mit der Zoll-Keule – Petro musste innerhalb von zwei Tagen klein beigeben.
ARTE Magazin Welche Folgen hätte die Massendeportation von Migranten, die Trump im Wahlkampf angekündigt hat?
Peter Birle Aufseiten der Herkunftsländer gibt es zwei Aspekte: zum einen die sozialen Folgen, zum anderen die ökonomischen – also das Wegfallen der Rücküberweisungen, die ehemalige Landsleute ihren Familien aus den USA schicken. Bislang zeigt sich aber, dass die Umsetzung dieser massenhaften Deportationen schwierig ist. Es scheitert bereits daran, die Millionen von Menschen überhaupt zu identifizieren. Hinzu kommt, dass diese Menschen ein enormer Wirtschaftsfaktor in den USA sind: Ein Teil der Wirtschaft würde zum Stillstand kommen, wenn sie nicht mehr da wären.
Zur Person
Peter Birle, Politologe
Seit 2001 leitet Birle die Forschungsabteilung am Ibero-Amerikanischen Institut in Berlin. Spezialisiert ist er auf die internationalen Beziehungen und die Politik Lateinamerikas.




