Plastik unter der Haut

Über Wasser, Luft und Nahrung reichern sich immer mehr Plastikpartikel im Körper an. Forschende untersuchen, welche gesundheitlichen Folgen das hat.

Ein Krebs, der in einem Plastikbecher steckt.
Mikroplastik ist überall – auch in unserem Körper. Etwa fünf Gramm Mikroplastik landen durchschnittlich pro Woche im menschlichen Magen-Darm-Trakt. Foto: Noel Guevara/Greenpeace

Kleinstteile von Plastiktüten in der Lunge, Kosmetikreste in der Plazenta und Textilfasern im Darm – was wie eine Dystopie anmutet, ist laut Forschenden längst Realität. Je stärker Kunststoff unseren Alltag durchdringt, desto mehr Mikro­partikel lagern sich in unseren Körpern ab. Wir atmen, essen und trinken Plastik – oft, ohne es zu bemerken. Unsichtbar fürs bloße Auge bestimmt Mikroplastik inzwischen unsere Umwelt – und uns selbst. Mehr als 400 Millionen Tonnen Kunststoff werden jedes Jahr weltweit produziert, ein Teil davon endet als winzige Partikel in Luft, Wasser und Nahrung. Sie dringen bis ins Gehirn vor, kontaminieren Atem- und Verdauungssysteme und wurden sogar in Muttermilch nachgewiesen. Doch was bedeutet das für unsere Gesundheit?

Homo Plasticus – Das Plastik in uns

Wissenschaftsdoku

Samstag, 22.11. — 21.45 Uhr
bis 21.7.26 auf arte.tv 

In Flüssen, Seen und Ozeanen ist Plastik längst zur Normalität geworden. Laut UN treiben derzeit bis zu 199 Millionen Tonnen Plastikmüll in den Weltmeeren, jedes Jahr kommen rund acht bis zehn Millionen Tonnen hinzu. Tiere verfangen sich in Fischernetzen, verschlucken Tüten oder Folien, Strände verwandeln sich in Berge aus Abfall. ­Mikro- und Nano­plastik dagegen ist nur wenige ­Milli- oder Nanometer klein und erst unter dem Mikroskop sichtbar. Doch gerade diese unscheinbaren Plastikteilchen haben große Auswirkungen auf unsere Körper: Immer mehr Studien zeigen Zusammenhänge mit Entzündungen, Hormonstörungen und einem erhöhten Krebsrisiko.

Dennoch ist in der Forschung vieles noch unklar. „Ich glaube nicht, dass Mikroplastik die alleinige oder grundlegende Ursache für all diese Krankheiten ist“, sagt der Lungenspezialist ­Carlos ­Baeza vom Universitätskrankenhaus Elche in Spanien in der ARTE-Dokumentation „Homo ­Plasticus – Das Plastik in uns“. „Aber ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass die Partikel den Krankheitsverlauf verschärfen oder die Heilung erschweren.“ Auch andere Mediziner warnen vor gesundheitlichen Folgen. „Auf dem Plastik sitzen alle möglichen Substanzen: Feinstaub, Allergene wie Hausstaub, Pilzsporen, Bakterien und Umweltgifte wie Pestizide“, so der Kardiologe ­Karsten ­Grote von der Universität Marburg in einem Geo-Interview. Besonders beunruhigend seien Funde in Plazenta, Fruchtwasser und Muttermilch. Selbst im Gehirn wurden offenbar bereits Plastikpartikel gefunden – sie können die Blut-Hirn-Schranke überwinden und gefährliche Entzündungen auslösen.

Von der Verpackung ins Blut

Die Wege, auf denen Plastik in unseren Körper gelangt, sind vielfältig. Verpackungen und PET-Flaschen geben winzige Partikel an Lebensmittel ab, synthetische Kleidung verliert beim Waschen und Tragen Mikrofasern, Kosmetika enthalten noch immer Kunststoffe. Auch Meeresfrüchte tragen die Rückstände unserer Konsumgesellschaft in sich – Miesmuscheln enthalten im Schnitt bis zu drei Mikroplastikpartikel pro Gramm Gewebe. Hinzu kommt der Abrieb von Autoreifen, der allein rund ein Drittel der weltweiten Mikroplastikemissionen ausmacht, sowie feine Kunststofffasern, die in Innenräumen aus Teppichen, Vorhängen und Polstermöbeln in der Luft schweben. Täglich nehmen wir Plastik über Luft, Wasser und Nahrung auf – in Mengen, die schwer vorstellbar sind. Schätzungen zufolge sind es etwa fünf Gramm pro Woche, also das Gewicht einer Kreditkarte.

Wie viel davon kann der Körper verkraften? Oder sind die Partikel längst so allgegenwärtig, dass wir lernen müssen, mit ihnen zu leben? „Wir stehen vor einem Problem, das weltweit zur Herausforderung für die öffentliche Gesundheit werden kann“, sagt ­Alba ­Hernández, Professorin an der Universitat Autònoma de Barcelona. Bis 2060 könnte sich die weltweite Plastikproduktion laut OECD-Schätzungen verdreifachen. Vielleicht ist die in der ARTE-­Dokumentation vermittelte Vorstellung vom Homo plasticus – einer Spezies, deren Körper untrennbar mit Kunststoffpartikeln verwoben ist – keine ferne Zukunftsvision mehr, sondern bereits bittere Gegenwart.

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