»Ein Stück Menschenmaterial«

Rechtsextremismus ist auf dem Vormarsch – vor allem unter Jugendlichen. Woran liegt das? Ein ehemaliger Neonazi gibt Einblicke.

White-Power-Zeichen und Demonstranten
Gesten des Hasses: Das White-Power-Zeichen (USA) steht für die Ideologie weißer Überlegenheit. Foto: Michael Nigro / Pacific Press / LightRocket / Getty Images

Nationalistische Parolen, autoritäre Männlichkeitsbilder und rassistische Verschwörungserzählungen sind weiter auf dem Weg Richtung Mainstream. Dabei erleben nicht nur die USA mit der Wiederwahl von ­Donald Trump einen politischen Rechtsruck. Auch in Europa liebäugeln immer mehr Menschen mit antidemokratischen Ideologien. In Deutschland erreichte die Zahl rechtsmotivierter Straftaten im vergangenen Jahr ein Rekordniveau: Laut Bundeskriminalamt stiegen sie im Vergleich zum Vorjahr um fast 50 Prozent. ­Philip ­Schlaffer kennt die rechtsradikale Szene gut. Einst selbst Neonazi und Mitglied einer kriminellen Rockergang, engagiert er sich heute bundesweit in der Präventionsarbeit. Im Gespräch mit dem ­ARTE ­Magazin erklärt er, warum rechte Netzwerke derzeit so erfolgreich sind, welche Rolle soziale Medien dabei spielen und wie junge Menschen vor der Radikalisierung bewahrt werden können.

ARTE Magazin Herr Schlaffer, gerade unter Jugendlichen verbreiten sich rechtsextreme Weltbilder derzeit besonders stark. Warum radikalisieren sich diese jungen Menschen?

Philip Schlaffer Ich glaube, die eine Antwort darauf gibt es nicht, aber ich beobachte, dass es aktuell wieder „modern“ ist, rechtsradikal zu sein. Viele junge Männer suchen nach Zugehörigkeit und Anerkennung und genau das finden sie in rechten Kreisen. Dort bekommen sie Aufmerksamkeit, Likes auf ­TikTok und Kommentare wie: „Stabiler deutscher Typ.“ Das wirkt. Bei mir war es ähnlich: Ich war orientierungslos, habe mich von meiner Familie abgewendet und Halt in der Neo­naziszene gefunden – das war der Start in ein Leben, in dem ich viel Leid verursacht habe.

World White Hate

3-tlg. Dokureihe

Dienstag, 8.7. — 20.15 Uhr
bis 7.7.26 auf arte.tv

ARTE Magazin Wie läuft die Vernetzung konkret ab – wird man aktiv angeworben?

Philip SchlafferVieles findet heute über soziale Medien statt. Die Szene weiß genau, wie man im Netz codiert kommuniziert – mit bestimmten Emojis, Farben oder Symbolen. Jugendliche stoßen so auf Profile, folgen Accounts, schreiben miteinander. In ländlichen Regionen gibt es auch ganz klassische Strukturen: Man trifft sich am Wochenende mit älteren Jungs, zu denen man aufschaut, am Lagerfeuer – grillt Bratwurst und hört Rechtsrock.

ARTE Magazin Radikalisieren sich junge Leute heute schneller als früher?

Philip Schlaffer Ja, auf jeden Fall. Über das Internet können sich Jugendliche innerhalb weniger Wochen radikalisieren. Entscheidend sind Algorithmen, wie sie ­TikTok verwendet – sobald man dort ein rechtsradikales Video anklickt, wird man mit ähnlichen Inhalten geflutet. Bei jungen Menschen, die das noch nicht reflektieren, ist das fatal.

ARTE Magazin Auch die internationale Vernetzung unter Rechtsradikalen soll immer mehr zunehmen.

Philip Schlaffer Sehr stark sogar. Rechte in den USA, Russland und Europa schauen aufeinander, teilen Inhalte und Strategien. Wenn ­Elon Musk öffentlich mit ­Alice ­Weidel interagiert, ist das für die Szene ein klares Zeichen: Wir sind viele, wir sind stark. In manchen Gegenden Deutschlands, vor allem im Osten, sehe ich auf Schulhöfen wieder Schneetarnhosen wie zu Skinhead-­Zeiten. Ich hätte nie gedacht, dass das zurückkommt.

ARTE Magazin Welche Rolle spielt Gewalt in der Szene?

Philip Schlaffer Gewalt ist ein zentrales Element. Viele Gruppen trainieren Kampfsport für den sogenannten Tag X, an dem sie sich den Umsturz versprechen. Dabei ist Hass auf Politiker, auf die Presse und auf Vielfalt ein täglicher Antrieb. Rechtsextremisten brauchen den Glauben daran, dass das aus ihrer Sicht marode demokratische System der Bundesrepublik irgendwann einstürzt, wie die Luft zum Atmen. Diese Menschen träumen vom Vierten Reich und einem Rassenkrieg.

ARTE Magazin Was hilft gegen so viel Hass?

Philip Schlaffer Ganz ehrlich: Ich weiß das manchmal auch nicht. Die Arbeit mit Radikalisierten ist extrem schwierig. Oft fehlt es an Demokratiebildung – und es gibt ganz andere Probleme im Hintergrund: familiäre Konflikte, das Scheitern in der Schule, Identitätskrisen in der Pubertät. Wenn man es schafft, Jugendlichen auf Augenhöhe zu begegnen, ihnen wirklich zuzuhören, dann kann man oft noch etwas bewegen und genau das versuche ich. Ich erzähle meine Geschichte – und versuche junge Menschen in ihrem Struggle abzuholen.

ARTE Magazin Was hat in Ihrem Fall zum Ausstieg aus der rechten Szene geführt?

Philip Schlaffer Es war zu viel Gewalt, zu viel menschenverachtende Ideologie. Ich war am Ende sogar an einer Schießerei beteiligt, später ist ein Mensch von Kameraden von mir getötet worden. Das hat mich dauerhaft verfolgt. Mir wurde klar, dass mein ganzes Leben auf Hass konzentriert war – dass wir, meine Kameraden und ich, Sozialversager und Kriminelle waren.

ARTE Magazin Und dann haben Sie sich ein komplett neues Leben aufgebaut?

Philip SchlafferDas musste ich, denn das Problem ist: Extremisten haben irgendwann nur noch ein extremistisches Umfeld. Die rechte Szene ist sehr empathielos. Man ist da nur ein Stück Menschenmaterial und für Neonazis bin ich jetzt Volksverräter. Aber ich bin jetzt seit zehn Jahre raus aus der Szene – und es war die beste Entscheidung meines Lebens.

Zur Person
Philip Schlaffer, Präventionsarbeiter

Schlaffer war lange selbst Teil der rechtsextremen Szene. Heute klärt er über die Gefahren der Radikalisierung auf, arbeitet u. a. an Schulen und setzt sich für Weltoffenheit ein.

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