Eberswalde in Brandenburg hat rund 41.000 Einwohner und liegt umgeben von weiten Wäldern etwa 40 Kilometer nordöstlich von Berlin. Es gibt einen Zoo und viele verlassene Fabrikhallen – Überbleibsel der einstigen Industriekultur. Wie viele Städte in Brandenburg kämpft auch Eberswalde mit dem demografischen Wandel: Überalterung, Abwanderung, Fachkräftemangel. Gleichzeitig zieht die idyllische Kleinstadt zunehmend Kreative und Kulturschaffende an. Und mittendrin? Eine Clique aus sieben Teenager-Mädchen, arabisch, kurdisch, Romnja, die hier ihren Platz suchen. Die Filmemacherin Rand Beiruty hat sie über fünf Jahre hinweg beim Erwachsenwerden begleitet. Ihr Dokumentarfilm erzählt von Freundschaft, Identitätsfindung und kulturellem Dazwischen – und stellt dabei die Perspektive der Mädchen in den Mittelpunkt.
ARTE Magazin Frau Beiruty, mit einer Gruppe von Teenagern zu arbeiten, stelle ich mir nicht immer ganz einfach vor. Wie liefen die Drehtage ab?
Rand Beiruty Die Arbeit hat mir großen Spaß gemacht. Ich habe die Mädchen bei einem Theaterworkshop in einem Kulturzentrum in Eberswalde kennengelernt, den ich geleitet habe. Trotz ihrer teils schwierigen Erfahrungen erzählten sie mit so viel Energie und Humor aus ihrem Leben, dass mir schnell klar war: Das möchte ich filmisch festhalten. Während des Drehs wurde viel gelacht und getanzt. Auch ihre Familien haben mich herzlich aufgenommen – das war sehr hilfreich. Natürlich lief nicht alles nach Plan: Es kam vor, dass ein Mädchen kurzfristig absagte, weil etwas dazwischenkam. Aber das gehört zu der Arbeit mit Teenagern dazu, man muss flexibel bleiben und sich darauf einstellen.
ARTE Magazin Alle Jugendlichen müssen ihren Platz in der Gesellschaft finden. Aber für diese Mädchen scheint das besonders herausfordernd zu sein.
Rand Beiruty Das stimmt. Die größte Hürde ist aus meiner Sicht die soziale Segregation – insbesondere in den ersten Jahren hatten die meisten Mädchen kaum Kontakt zu Gleichaltrigen ohne Migrationsgeschichte. Das macht es schwer, sich zugehörig zu fühlen. Hinzu kommen die Erfahrungen von Flucht, das Verlassen der Heimat, die Unsicherheiten, die aus den vielen neuen Herausforderungen resultieren. Mir war es wichtig, die Stärken und die Verbindung der Mädchen untereinander sichtbar zu machen. Sie sollten nicht auf Zuschreibungen wie „Geflüchtete“ reduziert werden, sondern als die individuellen Persönlichkeiten gesehen werden, die sie sind. Ich glaube, viele Zuschauerinnen und Zuschauer können sich mit ihnen identifizieren – selbst wenn sie aus ganz anderen Lebenswelten stammen.
ARTE Magazin In Brandenburg verzeichnet die AfD aktuell besonders hohe Zustimmungswerte. Haben Sie das auch während der Dreharbeiten gespürt?
Rand Beiruty Die gesellschaftliche Stimmung schwingt im Film an einigen Stellen mit, etwa wenn ein Mädchen wegen ihres Hijabs beleidigt wird. Ich habe mich aber ganz bewusst dagegen entschieden, den Fokus auf Rassismuserfahrungen zu legen. Stattdessen wollte ich den Mädchen eine filmische Plattform geben, um ihre eigenen Träume, Gedanken und Gefühle auszudrücken und aufzuzeigen, wie sie sich gegenseitig unterstützen.
ARTE Magazin Sie sagen, dass Sie vom Thema Flucht anders als gewohnt erzählen wollen. Was meinen Sie damit?
Rand Beiruty Ich selbst bin 2014 während der sogenannten Flüchtlingskrise aus Jordanien nach Deutschland gekommen. Damals stieg das Interesse an Dokumentarfilmen über Geflüchtete sprunghaft – viele dieser Filme folgten allerdings einem sehr ähnlichen Narrativ. Das hat mich gestört. Oft wurden die Geflüchteten einseitig als Opfer oder Traumatisierte dargestellt, ihre Perspektiven und individuellen Erfahrungen kamen kaum zur Geltung. Ich wollte diesen Fokus aufbrechen. Mir war es wichtig, dass die Mädchen sich gesehen fühlen und selbst etwas aus dem Arbeitsprozess mitnehmen. Einen Dokumentarfilm zu drehen, bedeutet für mich nicht nur eine Geschichte zu erzählen, sondern auch einen Raum zu schaffen, in dem alle Beteiligten lernen und wachsen können.
ARTE Magazin Was haben Sie selbst aus dem Dreh gelernt?
Rand Beiruty Geschichten über Menschen mit Fluchterfahrung sagen oft genauso viel über das Publikum aus wie über die Protagonisten – über deren Ängste, Projektionen, Hoffnungen und Vorurteile. Der Regisseur Philip Scheffner hat das in seinem Film „Havarie“ eindrucksvoll gezeigt: Er erzählt von 13 Menschen in einem manövrierunfähigen Schlauchboot auf dem Mittelmeer. Parallel dazu hört man Funksprüche, Touristenstimmen und Beobachtungen aus der Distanz. Es ist ein Film über das Sehen und Gesehenwerden und darüber, wie wir auf andere blicken. Genau diese Fragen interessieren mich auch.
ARTE Magazin Haben Sie noch Kontakt zu den Jugendlichen aus Ihrem Film?
Rand Beiruty Ja, mit einem Mädchen mit Romnja-Hintergrund arbeite ich gerade an einem neuen Film. Von den anderen erfahre ich regelmäßig etwas – über Liebesgeschichten, berufliche Pläne, kleine und große Erfolge. Für mich war es sehr bewegend, gemeinsam mit ihnen den fertigen Film zu schauen. Für sie war es wie ein Zeitraffer ihres eigenen Erwachsenwerdens auf der großen Leinwand.







