»Frage nach tragbaren Kompromissen«

Auch wenn sie unberechenbar scheinen – bewaffnete Kriege folgen Mustern. Der Freiburger Historiker Jörn ­Leonhard untersucht, wie es in der Geschichte zu Friedens­schlüssen gekommen ist.

Eine weiße Taube in einer Hand.
Wie kann ein Gespräch unter Feinden beginnen? Foto: Getty Images

Die Anfänge von Kriegen verstehen wir meist besser als deren Enden. Die Wege in den Frieden sind oft verschlungen, und die Verhandlungen gestalten sich umso schwieriger, je länger ein Konflikt dauert. Jörn ­Leonhard, ­Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Freiburg, analysiert historische Muster und Bedingungen, unter denen bewaffnete Konflikte endeten. „Geschichte wiederholt sich nicht und bietet auch keine Blaupause für die Probleme der Gegenwart“, räumt er in seinem Buch „Wie Kriege enden“ ein. Doch sie sei ein Reservoir an Konstellationen und Szenarien, das uns klarer sehen und mehr erkennen lässt

ARTE Magazin  Herr Leonhard, in Ihrem Buch schreiben Sie: Die Natur eines Krieges bestimmt sein Ende. Was heißt das?

Jörn Leonhard Wenn man einen Friedensschluss verstehen will, muss man zunächst die Natur des Krieges verstehen, der diesem Frieden vorausgegangen ist. Ein Bürgerkrieg endet anders als ein Staatenkrieg. Ein Krieg, in dem Vernichtung, Terror oder Genozid stattgefunden hat, endet anders als ein Krieg zwischen zwei Monarchen. Die Natur von Kriegen hat sich historisch stark verändert. So hat nach 1945 die Zahl klassischer Staatenkriege – und auch die Zahl formaler Friedensschlüsse – stark abgenommen, während Bürgerkriege und ethnische Gewalt stark zugenommen haben. Seit den 1990er Jahren erleben wir neue, hybride Formen, also Verbindungen von Krieg, Kriminalität und Terrorismus. Bei diesen so genannten „Neuen Kriegen“ ist häufig unklar, wen man zu einer Friedensverhandlung einladen müsste, wer die politische Prokura besäße, einen Vertrag zu unterzeichnen und seine Bedingungen umzusetzen.

ARTE Magazin Unsere Instrumentarien sind zu alt, um diese Neuen Kriege zu beenden?

Jörn Leonhard Das Völkerrecht, das auf den Kriegserfahrungen in Europa seit dem 17. Jahrhundert gründete,  passte auf klassische Staatenkriege, aber seine Grenze wird in Bürgerkriegen erkennbar. Es setzt voraus, dass sich alle Akteure auf die geltenden Normen einlassen. Wenn Akteure wie Donald Trump oder Wladimir Putin sich einig sind, diese Normen zu ignorieren, wird das Völkerrecht als Instrumentarium sehr stumpf.

ARTE Magazin Wann ist ein Konflikt reif für eine diplomatische Lösung?

Jörn Leonhard Aus den historischen Beispielen, mit denen ich mich beschäftigt habe, lässt sich ableiten: Ein Konflikt ist wahrscheinlich reif für eine Lösung, wenn die Akteure akzeptieren, dass sie von einer politischen Lösung mehr zu erwarten haben als von der Fortsetzung der militärischen Gewalt. Solange eine Seite auf militärische Überlegenheit und einen Sieg setzen kann, ist das nicht der Fall. Im Angriffskrieg gegen die Ukraine kann sich der russische Aggressor jetzt bestätigt sehen. Warum sollte er nach dieser Logik den Kampf einstellen, wenn er bereits so weit gekommen ist? Der Unterlegene wiederum würde bei asymmetrischen Konzessionen als Ergebnis eines Friedensabkommens bei nächster Gelegenheit auf eine Revision setzen. Das macht einen solchen Frieden von beiden Seiten aus prekär und fragil.

ARTE Magazin  Welche Faktoren entscheiden über Erfolg oder Misserfolg von Vermittlungsversuchen durch die UNO oder Drittstaaten?

Jörn Leonhard Auch hier spielt die Natur des Krieges eine wichtige Rolle. Stellvertreterkriege – und in der Ukraine findet auch ein Stellvertreterkrieg statt – sind grundsätzlich schwerer zu beenden, weil es mehr indirekt beteiligte Akteure gibt. Zweitens: Je länger ein Krieg dauert, desto mehr Opfer sind auf allen Seiten zu beklagen – und desto schwieriger werden Konzessionen. Denn jede Konzession wirkt dann innenpolitisch wie ein Verrat an den Opfern. Ein dritter Faktor verweist auf die Rolle von Vermittlern. Dort wo es starke Vermittler gibt, die bereit sind, die Bedingungen eines Friedensvertrags konkret zu überwachen, zur Not auch mit militärischen Mitteln, steigt die Wahrscheinlichkeit eines stabilen Friedens.

ARTE Magazin  Friedensschlüsse basieren auf Vertrauen. Wie gelingt das, wenn in der Vergangenheit Absprachen gebrochen wurden?

Jörn LeonhardAuch hier können starke Vermittler dafür sorgen, dass Verstöße dokumentiert werden, selbst wenn es zunächst unklar ist, wann und wie sie sanktioniert werden. In Friedensprozessen geht es auch darum, abzuwägen, welche Konfliktpunkte sich unmittelbar regeln lassen und welche in fünf oder erst in zehn Jahren. Dazu gehört die Frage nach tragbaren Kompromissen, nach kleinen Schritten, mit denen minimales Vertrauen entsteht – und auch die Einsicht, wann ein fauler Frieden auf der Basis so asymmetrischer Bedingungen entsteht, dass die Gewalt jederzeit wieder eskalieren kann. Tatsächlich dauerte es selbst nach dem Ende der meisten langen Kriege sehr lange, bis die Menschen dem Frieden wirklich trauen konnten.

ARTE Magazin Inwiefern haben sich unsere Erwartungen an Frieden historisch verändert?

Jörn LeonhardDer Friedensbegriff hat historisch betrachtet eine langfristige Aufwertung erfahren. Die basale Vorstellung, nach der Frieden die Abwesenheit militärischer Gewalt bedeutet, veränderte sich seit der Spätantike. Bei Augustinus bedeutet Frieden zugleich eine Nähe zu Gott. Seit dem 19. Jahrhundert kamen immer mehr Normen des Völkerrechts hinzu, im frühen 20. Jahrhundert schließlich die Vorstellung, dass Frieden nur auf der Basis von Gerechtigkeit gelingen könne. Dazu gehörte etwa die Anerkennung der Opfer und die Verfolgung von Kriegsverbrechen. Heute sind wir mit einer Kluft konfrontiert: Wir haben höhere Erwartungen an all das, was ein Frieden leisten soll, aber gleichzeitig sind die Möglichkeiten begrenzter geworden, dies mit klassischen, völkerrechtlich abgesicherten Friedensschlüssen zu erreichen.

Wie Kriege enden – und Frieden möglich ist

Dokumentarfilm

Dienstag, 22.4. —22.00 Uhr
bis 20.7. in der
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