»Typisch Barock«

Hinter dem verschwenderischen Pomp der Epoche steckte Machtkalkül. August der Starke verstand sich blendend darauf. Dresden hält sein Andenken hoch – und lebt gut davon.

Das Reiterstandbild von August dem Starken
Glanzvoll: Das Reiterstandbild von August dem Starken gehört wie der Zwinger zu Dresdens barockem Kulturerbe. Foto: Markus Beck / Zoonar / picture alliance

Sachsen und insbesondere Dresden ­verdanken dem Augusteischen ­Zeitalter Schlösser, Schatzkammern und den Canaletto-Blick. Kurfürst Friedrich August I. (1670–1733), später als August II. auch König von Polen, verkörperte förmlich die Epoche des Barock. Den Beinamen „der Starke“ bekam der Spross der Wettiner, einem der ältesten deutschen Adelsgeschlechter, erst im 19. Jahrhundert. Doch nicht alles war Gold bei ­August. Er vermählte seinen Sohn mit einer Erzherzogin von Österreich aus dem Haus Habsburg; der erhoffte Griff nach der Kaiserkrone für die Dynastie aber ging ins Leere. Unter den Nachfolgern schrumpfte Sachsen durch Kriegsniederlagen. Für die Popularität der Fürsten war das eher von Vorteil, meint der Dresdner Historiker ­Andreas Rutz.

ARTE Magazin August war ein absolutistischer Herrscher wie Sonnenkönig Ludwig XIV., das große Vorbild jener Ära. Was macht ihn trotzdem so beliebt?

Andreas Rutz Der Begriff Absolutismus ist von Historikerseite eher aufgegeben worden. Was sich damit verbindet, die Fürstengestalt, die alles bis in den letzten Winkel eines Landes bestimmt, war ein nirgends erreichtes Modell. Herrschaft beruhte in der Frühen Neuzeit auf vielerlei Konsens – mit den Ständen, Geheimen Räten, der Familie, bis hin zu den Ehefrauen. Aber ­August der Starke ist sicherlich nicht aufgrund seiner Politik so eine beliebte historische Figur, sondern eher wegen der barocken Pracht, die er verkörpert. In jüngerer Zeit orientiert sich besonders das Tourismus-Marketing an ­August. Denn wegen seiner Bekanntheit und weil sich um ihn alle möglichen Anekdoten ranken – angefangen bei der Stärke über die Mätressen bis hin zu den Hunderten Kindern, die er angeblich gehabt hat –, kann man ihn gut vermarkten.

Der Dresdner Zwinger: Sachsens Pracht und Prunk

Dokumentarfilm

Samstag, 15.3. —
20.15 Uhr
bis 11.6. in der
Mediathek

ARTE Magazin Wie ist der Mythos August entstanden? 

Andreas RutzUm die Person hat sich eine erinnerungskulturelle Industrie entwickelt. In populärwissenschaftlichen Werken, der Kunst und der Literatur wurde sein Leben verarbeitet, aber auch viel dazugedichtet. Es gab eine ganze Gossip-­Kultur, Gerüchte, die schon in Korrespondenzen aus der Zeit zu finden sind. Oder Beobachtungen vom sächsischen Hof. Da zerriss sich die Gesellschaft das Maul, was die Erinnerungsindustrie gern aufgegriffen hat.

ARTE Magazin Eignet sich denn ein verschwenderischer Frauenheld als sächsische Identifikationsfigur?

Andreas RutzAugust ist eine schillernde Gestalt, weil er lange regiert und eine umfangreiche höfische Inszenierung gepflegt hat, also typisch Barock. In Dresden wurde viel Geld investiert, nicht nur, weil er so gern feierte. Hinter den Festen, der Oper, dem Tanz und dem Kauf von Gemälden stand ein politischer Zweck. Dieses Prinzip der Repräsentation ist der Kern vormoderner Politik, der symbolischen Kommunikation, wie es in der Forschung heißt.

ARTE Magazin Unter August blühte die Wirtschaft im Land. Drohte bei den immensen Ausgaben nicht dennoch irgendwann Bankrott statt Barock?

Andreas RutzDie Schwierigkeit bei der Beurteilung Sachsens in dieser Zeit ist immer das Beispiel Preußen. Geschichtsschreibung und -wissenschaft haben sich lange sehr stark auf Preußen konzentriert, mit dem preußischen, protestantischen Stil als Maß aller Dinge. Entsprechend schlecht kommt der gesamte Barock weg, weil er als Verschwendung gilt – sinnlos, maßlos und politisch irrational. Wenn man Politik ausschließlich danach beurteilt, wie es um militärische Stärke steht, dann hat Sachsen vielleicht das Geld an der falschen Stelle ausgegeben.

Der barocke Bau
Canaletto-Blick, Elbschlösser, „Grünes Gewölbe“ und Gemäldegalerie machen Dresden zur Kunst- und Kulturmetropole. Ihr barockes Erbe verdankt die frühere Residenzstadt vor allem Kurfürst Friedrich⁠ August I. (1670–1733), August dem Starken. Foto: Protze-McPhoto / Bildagentur-Online / picture alliance

ARTE Magazin Das Verhältnis der Sachsen zu ­August und den Wettinern wirkt ungebrochener als etwa das der Berliner und Brandenburger zu den Hohenzollern.

Andreas RutzPreußen ist eng mit dem im 19. Jahrhundert entstehenden Nationalstaat und der Gründung des Kaiserreichs verbunden. Auch die folgenden Entwicklungen auf nationaler Ebene, insbesondere der Nationalsozialismus, sind mit Preußen und seiner militaristischen Tradition verknüpft, die zu Recht eine kritische Einordnung erfährt. Für Sachsen, das als Verlierer des Siebenjährigen Krieges und der Napoleonischen Kriege erheblich verkleinert und in seiner Bedeutung zurückgestuft wurde, stellt sich das anders dar, was eine positive Traditionsbildung vereinfacht. Interessanterweise greift man dabei gern auf den fernen Barock und ­August zurück, um dort Ankerpunkte zu suchen.

ARTE Magazin Für Dresden gilt das ganz besonders?

Andreas RutzNatürlich, Dresden wird immer als Barockstadt inszeniert. Dabei war es im 19. Jahrhundert auch eine Industriemetropole und ein großer Garnisonsstandort, der noch im Zweiten Weltkrieg zur Festungsstadt ausgebaut werden sollte. Aber für die Erinnerungskultur, das Marketing und das Image spielt eben der Barock eine sehr viel größere Rolle als andere, problematische Facetten der Stadtgeschichte.