Briefkolumne

Wie lassen sich Familie und Job vereinbaren? In Frankreich leichter als in Deutschland, denkt unsere Autorin – und erhält intime Einblicke eines Vaters.

Briefkolumne Illustration_Elisabeth Moch
Illustration: Elisabeth Moch

Cher Dirk,

wenn ich Dir die Zahl 521 nenne, wirst Du Dich fragen, wovon ich rede. Nun, es ist die Anzahl der Romane, die in der neuen Literatursaison – ein großes Event in Frankreich – im September in die Regale der Buchhandlungen kommen. Einige werden im Herbst mit den Preisen ­Goncourt oder ­Femina ausgezeichnet, mit garantiertem Absatz. Beim Durchstöbern der Listen bin ich auf den deutschen Bestseller „Die Liebe im Ernstfall“ von Daniela Krien gestoßen und habe erfahren, dass ihre Geschichte von fünf Frauen handelt und dass ihre Frage nach „den Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern, dem Stellenwert von Kindern und Arbeit, der Zerbrechlichkeit der Liebe […] eine fesselnde Radiographie der modernen Frau“ ist. Nicht weniger! Hast Du das Buch gelesen? Das Thema interessiert mich, weil ich immer den Eindruck hatte, dass es für meine deutschen Freundinnen komplizierter war als für mich, ihr Leben als Frau, ihren Wunsch nach Karriere und Mutterschaft zu vereinbaren. Zudem ist Eure Geburtenrate (1,54) niedriger als in Frankreich (1,88). Könnte die Tatsache, dass die Schule mit sechs Jahren beginnt und der Unterricht am frühen Nachmittag endet, einer der Gründe sein? In Frankreich haben wir – abgesehen von Krippenplätzen für Babys ab drei Monaten – die Schulpflicht ab drei Jahren („Puh!“, denkt die Großmutter einer Enkelin, die dieses Jahr eingeschult wird). Und die Schule endet um 16 Uhr mit der Möglichkeit der Kinderbetreuung bis 18 Uhr, um berufstätigen Müttern das Leben zu erleichtern. Rückblickend bin ich froh, dass ich nicht jedes Mal mein Leben als Frau opfern musste, wenn ich ein Kind mit einem Mann haben wollte, den ich liebte. Auch wenn sich meine Kinder manchmal über meine Abwesenheit beschwerten und ich mich schuldig fühlte: Die Wahl zu haben, ist ein Privileg. Aber was sagst Du dazu, als junger Familienvater?

Erwartungsvoll,
Colombe

Karambolage

Magazin

sonntags, 18.55 Uhr
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Liebe Colombe,

leider habe ich das Buch von Daniela Krien nicht gelesen. Aber: Ja, Du hast recht! Es ist nie ganz leicht gewesen, Familie und Beruf zu vereinbaren und etwa die Betreuungs- mit den Arbeitszeiten zu synchronisieren. Seit Beginn der Pandemie aber kommen mir diese Probleme geradezu paradiesisch vor. Hier in Deutschland hat es, mit kurzen Ausnahmen, seit März letzten Jahres keinen regulären Schulbetrieb mehr gegeben. Sportvereine mussten ihren Betrieb einschränken oder einstellen. Selbst mit ihren Freundinnen und Freunden konnten sich die Kinder nicht mehr ohne Weiteres verabreden – und auch unsere sozialen Kontakte waren gekappt. Meine Frau und ich hatten stets großen Wert darauf gelegt, dass unsere Tochter und unser Sohn, acht und zehn Jahre alt, in einem Bezugskreis von zugewandten Erwachsenen groß werden, getreu dem Motto: „Um ein Kind aufzuziehen, braucht es ein Dorf.“ Dieses Clan-Modell hatte uns auch geholfen, ruhigen Gewissens unserer Arbeit nachzugehen (und ab und an auch mal zu zweit ein Theater oder Restaurant aufzusuchen). Doch plötzlich waren wir auf den innersten Kern reduziert: Mutter, Vater und zwei Kinder, auf einer Insel inmitten der Pandemie. Hier fand nun alles statt, ohne Entzerrung und Ablenkung: Familienleben, individuelles Leben, Schule, Arbeit und der ganze mitunter mühselige Alltag. Uns wurde bald klar, dass wir Druck aus diesem geschlossenen System nehmen mussten, denn sonst würde es uns um die Ohren fliegen. Um es kurz zu machen, liebe ­Colombe: Ich habe aufgehört zu arbeiten. Das Buch, das ich schreiben wollte, habe ich nicht geschrieben. Stattdessen habe ich anderthalb Jahre als Hauslehrer, Privattrainer und Allzweckspielkamerad verbracht. Ich bin dankbar, dass meine Frau in dieser Zeit das Geld herangeschafft hat, und froh, dass es uns gelungen ist, den Kindern Stabilität in einer instabilen Zeit zu geben. Ich bin gespannt auf die Bücher, die im Herbst erscheinen. Und traurig, dass meins nicht dabei sein wird – aber nur ein bisschen.

Herzlich,
Dein Dirk