Kleider wie Knallbonbons

Ob exzentrische Rüschen oder viel nackte Haut: Dezent war das Modehaus Gucci selten. Auch die Geschichte seines Familienimperiums steckt voller Drama.

Foto von pinkem Gucci-Outfit.
Gucci, die Marke mit dem Doppel-G, blickt auf eine mehr als 100-jährige Geschichte zurück. In dieser Zeit hat sich das Modehaus immer wieder neu erfunden, war mal abgeschrieben, dann wieder Hype-Marke. Foto: Victor Virgile/Gamma-Rapho/Getty Image

Es gibt Modemarken, bei denen weiß man genau, wofür sie stehen. ­Chanel liefert Tweed-Kostüme und Goldknöpfe, bei Ralph ­Lauren gibt es aufgeräumte Poloshirts für den Segelausflug. Das italienische Modehaus ­Gucci ist kein vorhersehbarer Kandidat. Es hat in den vergangenen Jahrzehnten manche Kehrtwende hingelegt: vom klassisch italienischen Jetset-­Look über winzige Discofummel bis zur nostalgischen Rüschenflut. Packt man dazu noch das dramatische Gebaren der Gucci-­Familie, lässt sich sagen: Zumindest langweilig wird es in diesem Umfeld nicht.

Tatsächlich hatte die Marke zuletzt gigantischen Erfolg. Sie machte Jahresumsätze von bis zu zehn Milliarden Dollar, weil Influencer und Stars auf den Mix aus kultiviertem Kitsch und Romantik flogen, die der Designer ­Alessandro ­Michele entwarf. Stickereien und Brokat, Seidenblusen für Frauen und Männer: ­Gucci war überall. Selbst im Kino, wo ­Ridley Scott, Regisseur von „­Alien“ (1979) und „Gladiator“ (2000), den Film „House of ­Gucci“ (2021) platzierte. Dass der sich nicht nur an Fakten hielt: egal.

Angefangen hatte alles mit ­Guccio ­Gucci, der um die Jahrhundertwende als junger Mann im Londoner Luxushotel Savoy arbeitete. Dort schaute er sich den Stil reicher Leute ab und begann, in Florenz Lederwaren und Reisegepäck herzustellen. Als Leder im Zweiten Weltkrieg zur Mangelware wurde, setzte er auf alternative Materialien. Aus dieser Zeit stammen Details, die noch immer zu ­Gucci gehören: Taschen mit Bambus-Henkel etwa oder solche aus beigefarbenem Canvas-Stoff, der über und über mit einem Rautenmuster bedruckt ist.

Gucci: Luxus, Lust & Drama

Gesellschaftsdoku

Mittwoch, 30.7.
— 21.55 Uhr
bis 27.9. auf arte.tv

Model in schwarzem Outfit auf dem Laufsteg.
Der US-amerikanische Designer Tom Ford verlieh ­Gucci in den 1990er Jahren mit viel Satin und tiefen Ausschnitten ein neues Image. Foto: Guy Marineau/Conde Nast/Getty Images

Von da aus expandierte die Marke, verkaufte Dolce Vita für alle, die es sich leisten konnten. ­Jackie ­Kennedy trug sie ebenso wie ­Elizabeth ­Taylor oder Mick ­Jagger. An erster Stelle bis heute: die Lederslipper mit goldener Schnalle, die an eine Pferdetrense erinnert. ­Aldo ­Gucci, ein Sohn von ­Guccio, erklärte den Erfolg der New York ­Times im Jahr 1970 so: „Wir sind wie eine Trattoria, in der jeder aus der Familie im Geschäft ist.“ Das war auf den Punkt, denn tatsächlich mischte mittlerweile eine ganze Schar von ­Guccis im Unternehmen mit.

Genau darin dürfte auch das Problem gelegen haben – viele Köche, man kennt das Sprichwort. Denn jeder und jede kochte nun unter dem berühmten Namen ein eigenes Süppchen, brachte Parfümlinien und alle möglichen Dinge mit dem Gucci-­Label heraus. Egos kollidierten regelmäßig, man verklagte einander oder schwärzte die Verwandtschaft bei den Steuerbehörden an. ­Laut Sara Gay ­Fordens Buch „The House of ­Gucci“, das als Vorlage für ­Ridley Scotts Film diente, beschrieb eine italienische Zeitung den Konkurrenzkampf mit drastischen Worten: „Es war die Art von Streitigkeiten, in die man als Schwein hineingeht und als Wurst wieder herauskommt.“

So wenig stoff wie möglich

Nach und nach booteten sich die Verwandten aus. Seinen Extrempunkt erreichte das Drama, als -Maurizio -Gucci, der als Letzter aus der Familie das Modehaus leitete, 1995 von einem Auftragsmörder erschossen wurde. Angeheuert hatte ihn seine Exfrau Patrizia Reggiani. Später erklärte sie, Maurizio habe sie einfach genervt. Während es hinter den Kulissen – und oft genug in der Öffentlichkeit – drunter und drüber ging, stagnierte die Marke. Das änderte sich erst Ende der 1990er Jahre, als man den Texaner Tom Ford zum Kreativdirektor machte. Er unterzog Gucci einer Generalüberholung und warf alles Altgediente über Bord. Stattdessen setzte er auf ultraknappe Slipdresses, Hotpants und tief ausgeschnittene Satinhemden. Das Motto: so wenig Stoff wie möglich. Mit radikalem Hedonismus ließ er den Disco-Glamour der 1970er Jahre aufleben. Auch wer um die Jahrtausendwende maximal tief sitzende Hüfthosen trug, hatte sie Tom Ford zu verdanken.

Nach dessen Abgang kam dann lange nichts von Belang. -Gucci habe eher für Geld als für Geschmack gestanden, schrieb etwa die Zeit. Erst Alessandro Michele, der bereits für die Marke gearbeitet hatte und 2015 zum Chefdesigner befördert wurde, brachte die erneute Wende. Er machte Gucci nerdig und exzentrisch, kombinierte geblümte Kleider und mit Fell ausgelegte Slipper, pinkes Chiffon und riesige Brillen. Mode wie aus dem Süßwarenhandel, perfekt für Instagram. Es folgten Rekordumsätze, ein regelrechter Hype. Eine Zeit lang kam kaum eine Modemarke an Gucci heran.

Was dann passierte? Nicht ganz klar. Vielleicht verlangte der Konzern, zu dem Gucci heute gehört, noch spektakulärere Zahlen. Vielleicht hatte man sich schlicht an Micheles Vision sattgesehen. So oder so steht derzeit wieder ein neuer Designer in den Startlöchern – der Georgier Demna, der das Couturehaus Balenciaga mit ironischer Streetwear umgekrempelt hat. Sicher ist: Leise Töne schlägt auch er selten an. Es könnte also passen.